Bessere Arbeitsbedingungen, mehr Anerkennung, Wertschätzung und Geld - auch darum wird es auf dem ver.di-Bundeskongress im September gehen. Eine neue Dienstleistungspolitik wird gebraucht

Auch auf diese Dienstleister verzichten wir besser nicht: Die Feuerwehr im Einsatz an der anschwellenden Elbe bei Dannenberg

von Claudia von Zglinicki

Stellen Sie sich vor, heute gäbe es niemanden, der für Sie in der Dienstleistungsbranche arbeitet. Niemand fährt den Bus, der Sie zur Arbeit bringt, keiner betreut das Kind in der Kita, pflegt den Freund, der im Krankenhaus liegt. Kein Schein gleitet aus dem Geldautomaten. Kein Mittagessen in der Betriebskantine, kein neuer Pass im Rathaus. Und so ginge es weiter. Aber so geht es nicht. All das muss getan werden, wird getan - und kaum bemerkt. 30 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in der Dienstleistungsbranche. Ohne sie geht nichts. Sie erarbeiten 70 Prozent der Wertschöpfung, eine Leistung für Kundinnen, Patienten, Verbraucher und die ganze Gesellschaft, die zu oft übersehen, geringgeschätzt und allzu oft geizig bezahlt wird.

30 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland zurzeit in den verschiedenen Dienstleistungsbereichen, so im Gesundheits- und Sozialwesen, in Handel und Nahverkehr, in der Abfallwirtschaft, in Energieunternehmen, öffentlichen Verwaltungen, Banken und Sparkassen. Waren 1970 noch 45 Prozent der Beschäftigten in diesem Sektor tätig, sind es im vergangenen Jahr schon 72 Prozent gewesen. Das charakterisiert den Strukturwandel im Land - von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Industriegesellschaft. Der Trend setzt sich fort. Das heißt auch, dass immer mehr Beschäftigte in ihrem beruflichen Alltag mit anderen Menschen zu tun haben - mit Kundinnen, Patienten, Klienten. Und gerade in den Branchen, in denen ver.di Mitglieder hat, ist das der Fall: Dort sind es 81 Prozent.

Verkäuferin - früher war das was

Karstadt in Hannover, glitzernd und anziehend. Auf der riesigen Fashion-Etage für Damen arbeiten sechs Verkäuferinnen, Einzelhandelskaufleute, gut ausgebildet und kompetent. Sie wollen beraten und den Einkauf angenehm machen. Tatsächlich schaffen sie es kaum, die Fläche zu überblicken. Sie sind zu wenige. "Und das ist nur eines unserer Probleme", sagt Angelika Ebeling, von Beruf Schauwerbegestalterin, bei ver.di aktiv in der Frauenpolitik. Sie arbeitet seit 40 Jahren hier, inzwischen als Vertrauensfrau der behinderten Menschen.

Auch die Einzelhandelskauffrau Petra Kulla ist seit vielen Jahren in diesem Haus tätig. Ob sie sich anerkannt fühle? "Nein", sagt sie, ohne zu zögern. "Früher war das was, Verkäuferin bei Karstadt. Jetzt heißt es manchmal: Ihr steht doch bloß rum und quatscht. Was macht ihr denn schon?" So ein Spruch trifft sie - umso mehr als sie heute gemeinsam mit einer Kollegin im Verkauf das schaffen muss, wofür es früher 40 Beschäftigte gab.

"Wir sind weniger geworden - und Wertschätzung und Anerkennung auch", sagt Angelika Ebeling. Natürlich erleben ihre Kollegen auch Kundinnen, die sich beraten lassen und gern wiederkommen. "Und Vorgesetzte, die die Mitarbeiter nicht klein machen, sondern Leistung anerkennen." Doch die mangelnde Akzeptanz, meint Ebeling, zeige sich schon in der immer weiter gehenden Einsparung von Personal. Bedeute die Kürzung doch im Kern: Ihr schafft das schon! Als habe man vorher, mit mehr Kräften, nicht genug zu tun gehabt.

Angelika Ebeling hat klare Vorstellungen, was sich ändern muss. Tarifliche Bezahlung in allen Einzelhandelsunternehmen steht vorne an. Vollzeitstellen anstelle von Minijobs. Und das leidige Thema Ladenöffnungsgesetz. Das Gesetz ermöglicht je nach Bundesland im Moment vieles, was Ebeling für unnötig hält, was nur auf Kosten der Beschäftigten geht: Sonntagsöffnungen, Einkauf bis Mitternacht. Statt dessen setzt sie sich für ein einheitliches, bundesweit geltendes Gesetz und eine Ladenöffnung bis 20 Uhr ein. Und wünscht sich, dass die öffentliche Meinung über den Einzelhandel besser wird - und einige Kunden aufmerksamer mit Verkäufern und Waren umgehen. "Mancher ignoriert, dass unsere Kolleginnen eine gute Ausbildung haben und kompetent sind. Die Zufriedenheit der Kunden, das ist es doch, was wir wollen."

Der DGB-Index "Gute Arbeit", die regelmäßige repräsentative Untersuchung der Frage, wie Arbeitnehmer/innen ihre Arbeitsbedingungen einschätzen, zeigt, dass gerade die Beschäftigten in den verschiedenen Dienstleistungsbranchen Respekt und Anerkennung für ihre Arbeit oft vermissen. Viele fühlen sich von Kunden herablassend behandelt und von Chefs nicht geschätzt. Sie stehen unter immer höherem Zeitdruck und müssen daher Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen, die sie eigentlich nicht wollen. Sie empfinden ihre Tätigkeit meist als sehr sinnvoll, bewerten ihre Bezahlung aber oft als zu niedrig. Eine tiefe Kluft tut sich auf: Gerade diese Frauen und Männer werden von der Gesellschaft immer mehr gebraucht - und zugleich zunehmend unter Druck gesetzt, oft schlecht bezahlt und in vielen Fällen missachtet.

Das ist doch krank

Constanze Hagen (Name geändert) ist Krankenschwester. Vor einigen Jahren wechselte sie aus der Notaufnahme einer Klinik in ein großes Altenpflegeheim in Ostdeutschland. Dort leitet sie einen Wohnbereich. Sie ist im Betriebsrat und vertritt energisch ihre Meinung. Und die ist kritisch, wenn es um die Arbeitsbedingungen geht und darum, wie wenig Anerkennung sie und ihre Kollegen für die Arbeit in der Altenpflege bekommen. "Keiner hat mehr die Zeit, die er braucht. Wir rennen alle, als wären wir auf der Flucht. Das ist doch krank!"

In den letzten Jahren wurde das ausgebildete Personal in dem Heim, in dem Hagen arbeitet, immer weiter reduziert. Zwar werden die gesetzlichen Vorschriften erfüllt, aber sie erlebt, dass die Aufgaben "mit so wenigen qualifizierten Leuten einfach nicht mehr zu bewältigen sind. Eine Fachkraft für 100 Menschen im Nachtdienst. Das geht nicht." Constanze Hagen spricht davon, dass sie in ihrer Arbeit immer mit Leib und Seele dabei ist, aber heute würde sie trotzdem keinem mehr eine Stelle in der Altenpflege empfehlen. "Wenn ich irgendwem erzähle, wo ich arbeite, verändert sich die Mimik meines Gegenübers. Manche Leute reagieren mit Naserümpfen. Wir genießen keine hohe Wertschätzung, wir haben keine Lobby." Sie gibt zu, früher selbst nicht richtig eingeschätzt zu haben, was die Tätigkeit in der Altenpflege bedeutet. Wie schwer es sein kann, einer Bewohnerin jeden Schluck Tee mühsam einzuflößen. Sie habe selbst auf dem hohen Ross gesessen. Davon sei sie aber sehr schnell heruntergekommen.

Auch Isabel Hauschild ist Krankenschwester. Sie arbeitet in der Unfallchirurgie eines Berliner Krankenhauses. Auch sie ist im Betriebsrat und aktiv bei ver.di, "damit sich etwas ändert". Klar will sie mehr Geld für ihre Arbeit, daraus macht sie kein Hehl. Sie kann nicht akzeptieren, dass in den "typischen Frauenberufen" immer noch weniger verdient wird als in männlich geprägten Bereichen. Aber vor allem möchte sie, dass "die Leute in der Pflege aufwachen und etwas für sich tun, sich stark machen und nicht weiter ihre schlechten Arbeitsbedingungen vertuschen." Vertuschen, damit meint sie zum Beispiel, dass Kolleginnen früher zur Schicht kommen und später gehen, um ihre Aufgaben zu schaffen und vielleicht sogar mal eine Pause machen zu können. "Wertschätzung kriegt man nicht geschenkt, dafür muss man auch auf die Straße gehen und was durchsetzen. Wie die Leute in anderen Branchen."

Um in Politik und Gesellschaft etwas zu bewegen, haben ver.di und die Friedrich-Ebert-Stiftung vor einigen Jahren den Arbeitskreis "Dienstleistungen" gegründet, der sich für eine öffentliche Diskussion und die Aufwertung der Arbeit in diesen vielfältigen Bereichen einsetzt. Einen Antrag dazu wird der ver.di-Gewerkschaftsrat dem Bundeskongress im September vorlegen. Darin wird eine gesellschaftspolitische Initiative für die Anerkennung der Dienstleistungsarbeit gefordert, ebenso wie die weitere Professionalisierung dieser Arbeit. Es geht um "eine andere Politik, die dem zunehmenden Wert von Dienstleistungen Rechnung trägt".

Für eine selbstbewusste Politik

Wenn der Kongress den Antrag annimmt, fordert ver.di damit von der Bundesregierung öffentliche Investitionen in Höhe von jährlich 50 Milliarden Euro für den Ausbau einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, die Energiewende, die öffentliche Infrastruktur, für Bildungswesen, Gesundheit und Pflege, den Ausbau der Telekommunikationsnetze. Auch die ver.di-Bundesfrauenkonferenz hat einen Antrag für eine selbstbewusste Dienstleistungspolitik vorgelegt - für die Aufwertung der Dienstleistungs- und Sorgearbeit und die Beseitigung der Einkommensschere von derzeit 23 Prozent zwischen Frauen und Männern. Der Kongress wird die Anträge diskutieren. Es soll sich etwas verändern, das wollen viele in ver.di.

www.verdi.de/ueber-uns/bundeskongress/downloads

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www.wipo.verdi.de/broschueren

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