Otmar Boger* arbeitet seit über zwei Jahrzehnten als Anlageberater bei einer der größten Banken Deutschlands. Er ist ver.di-Mitglied

ver.di PUBLIK | Von Jahr zu Jahr beschweren sich immer mehr Anlageberater/innen großer Banken bei ver.di, weil sie ausbrennen.

OTMAR BOGER | Unter uns gibt es einen hohen Krankenstand, viele Fälle von Burnout. Das hängt auch damit zusammen, dass uns die Kunden immer misstrauischer begegnen. Die setzen heute bei jeder Empfehlung von uns voraus, dass sie nur der Bank gut tut und nicht ihnen.

ver.di PUBLIK | Zu Recht?

BOGER | Seit drei Jahren haben wir nun die Krise. Unsere Banken sind an ihr nicht schuld, aber sie werben seither immer aggressiver um ihre ohnehin verunsicherten Kunden. Und in ihren Anlageberatern sehen sie nur noch Verkäufer, die soviel wie möglich absetzen sollen.

ver.di PUBLIK | Wieso reagieren die Banken derart paradox?

BOGER | Vorher konnte ich mit zehn Beratungsgesprächen auch zehn Finanzprodukte verkaufen, nach der Krise nur noch drei. In den oberen Banketagen hat man daraus den Schluss gezogen: Dann müsst ihr eben mehr Gespräche führen! Jetzt müsste ich dem Kunden eigentlich schon nach 30 Minuten sagen: Jetzt aber raus hier! Dabei sinkt natürlich die Erfolgsquote.

ver.di PUBLIK | In manchen Bankfilialen sollen Listen mit den Namen der Berater und ihrer Erfolgsquote neben der Kaffeemaschine hängen.

BOGER | Das kommt oft vor. Dazu verengen sich die Abstände zwischen sogenannten Controllings, bei denen man gefragt wird: Wie viele Gespräche hast du mit Kunden geführt und wie viel Ertrag hast Du dabei erzielt? Zuerst passierte das monatlich, jetzt täglich, bei manchen Chefs sogar stündlich. So werden die Daumenschrauben angezogen!

ver.di PUBLIK | Die Deutsche Bank hat sich in diesem Jahr das Ziel gesetzt, ihre Gewinne aus dem Privatkundengeschäft um 80 Prozent zu steigern.

BOGER | Für mich war es immer ein Mysterium, dass Führungskräfte, von denen die meisten eine konservative politische Meinung haben, plötzlich zu Methoden der sozialistischen Planwirtschaft greifen, wenn sie ihre Mitarbeiter managen. Dass aber utopische Ziele immer mit unmenschlichen Methoden verfolgt werden, kann ich aus meiner Praxis bestätigen.

ver.di PUBLIK | Was müsste geschehen, damit sich Ihre Situation wieder bessert?

BOGER | Der Schlüssel dazu liegt in der Betriebsverfassung der Banken. Ich wundere mich über Kunden, die zwar auf die Banken schimpfen, aber ansonsten keinen Finger rühren, obwohl sie doch eine starke Lobby in den Verbraucherschutzverbänden und Einfluss auf die Gesetzgebung haben. Die beiden Hauptübel sind: die erfolgsorientierte Bezahlung von uns Beratern in Form von Boni für Abschlüsse und die Marschpläne, die aufgestellt werden: "Du machst jetzt 15 Gespräche pro Woche!" Das sollten die Verbraucherverbände mit ihrer geballten Macht unterbinden!

INTERVIEW: Barbara Kerneck

*Name geändert

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