Ausgabe 10/2011
Gegenwehr mit Musik
Platzkonzert: Das Berliner Musikschullehrer-Orchester intoniert Dvoraks Neunte "Aus der neuen Welt"
BERLIN | Lehrkräfte von Musikschulen sind selten beim Demonstrieren zu beobachten. Dabei verdienen die studierten Musikerinnen und Musiker als Freie durchschnittlich nur zwischen 1000 und 1100 Euro brutto, wie eine bundesweite Umfrage der ver.di-Musiker ergab. In Berlin ist die Lage inzwischen nicht länger hinnehmbar. Deshalb protestierten Mitte September vor dem Fernsehturm nun auch dort Lehrkräfte gegen ihre Arbeitsverhältnisse. Dazu führte das Musikschullehrer-Orchester Passagen aus Dvoraks 9. Symphonie "Aus der Neuen Welt" auf.
Dem Senat sind die seit März anschwellenden Proteste der Musikleh-rer/innen zunehmend unangenehm, glaubt Anke Jonas, zuständige ver.di-Sekretärin im Landesbezirk Berlin-Brandenburg. Lehrbeauftragte an Musikhochschulen haben eine bundesweite "Frankfurter Resolution" veröffentlicht, die von der Fachgruppe Musik in ver.di unterstützt wird und die Rektorenkonferenz aufschreckte. Und wohl auch, weil sich die überregionale Presse und einzelne Politiker "der sittenwidrigen Verhältnisse" annahmen. Zuletzt kam Unterstützung durch den Deutschen Musikrat, ein eher kritikscheues Gremium, dessen Präsident Christian Höppner Berlins Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit auf verrottete Musikräume und fehlende Fachkräfte für 8000 Kinder und Jugendliche auf Wartelisten der Musikschulen hinwies: "So sehr die Auseinandersetzung um den Ausbau der Autobahn 100 im Vordergrund steht - die kulturelle Teilhabe für die Kinder und Jugendlichen ist bedeutsamer für die Entwicklung Berlins."
Bezahlt wie Wanderarbeiter
Die miserablen Zustände seien auch der Bevölkerung längst nicht mehr egal, darunter viele Eltern von Musikschulkindern, sagt Anke Jonas. "Es ist etwas Besonderes, wenn Musikschulkräfte wegen ihrer Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen, das weckt Besorgnis." Zu Recht: Von den 2000 Musikschulkräften Berlins arbeiten nur etwa 200 Lehrer/innen in Festanstellungen, wobei sie sich etwa 140 solche Stellen teilen. Freie bekommen durchschnittlich 19,44 Euro je Unterrichtsstunde und damit 59 Prozent dessen, was Festangestellte verdienen. Krankenversichert sind die Freien über die Künstlersozialkasse, KSK, zahlen also nur den halben Beitrag, müssen aber für die Renten- und Arbeitslosenversicherung selbst aufkommen. Auch Arbeits- und Mutterschutz haben sie ohne Zuschüsse zu tragen. Garantiert ist damit das kleine Geld jedoch längst nicht. Reichen die Pauschalhaushalte nicht aus, die der Senat an die Stadtbezirke überweist, obliegt es den Bezirken, ob sie bei den Musikschulen sparen. Inzwischen sind die Berliner Musikschullehrer/innen zusätzlichen Erpressungen ausgesetzt. Weil die Rentenkasse wegen Scheinselbstständigkeit ermittelt, streichen die Bezirksämter Weiterbildungen oder stoppen den Instrumentenverleih. Hochqualifizierte Absolventen werden, so heißt es in der ver.di-Resolution, "zu billigen Erbringern von Bildungsdienstleistung degradiert".
Am 23. September hat der Berliner Senat erstmals reagiert: Die Honorare der Lehrkräfte würden in Anlehnung an die Abschlüsse im Öffentlichen Dienst 2012 und 2013 um 7,3 Prozent erhöht. Aus ver.di-Sicht schiebt der Senat damit nur die Anhebung um ein Jahr hinaus, was den "rechtlosen Status" der Lehrkräfte unterstreiche.