Sie gehören alle dazu: die ver.di-Delegierten aus Hamburg auf dem Kongress mit Frank Bsirske (Mitte li.)

Heimfahrt aus Leipzig. Nachdenken über einen besonderen Bundeskongress. Was war das Wichtigste? Unsere Abrechnungen mit den Finanzmärkten und Regierungsversagen? Der Auftritt des Kollegen aus Griechenland? Frank Bsirskes Kampfansage an alle, "die Privat vor Staat, Profit vor Gemeinwohl setzen wollen" oder seine Kursbestimmung, es gehe um "die Rückgewinnung des Sozialen" im Betrieb, in der Gesellschaft? Die fröhliche Entschlossenheit der 1 000 Delegierten, die schon so viel erkämpft haben? Das Feuer der Jungen, die Weisheit der Alten? Ich habe schon etliche Gewerkschaftskongresse erlebt, aber so viel Geschlossenheit war nie. Inmitten der größten Finanz-, Wirtschafts- und wohl auch Politikkrise steht meine Gewerkschaft zusammen für eine gerechtere Welt, ein gerechtes Land. Was bin ich froh, dazuzugehören!

Ich habe große Hochachtung vor den Delegierten, die sieben Tage lang bis zu 13 Stunden täglich im "ver.di-Parlament der Arbeit" die 1300 Anträge beraten haben, auch Anträge zum Thema Arbeitszeitverkürzung. Es sind keine geübten Parlamentarier, sondern Gewerkschaftsmitglieder, auch aus den Hamburger Betrieben, vom Müllfahrer bis zur Pflegekraft.

Auch bei den Hamburger Delegierten gab es sehr unterschiedliche politische Positionen, in der Energiepolitik etwa oder bei der Frage von Bundeswehreinsätzen. Mich hat der Respekt und die Toleranz in der engagierten Diskussion beeindruckt. Auf diese hohe demokratische Kultur unserer Einheitsgewerkschaft können wir in ver.di stolz sein.

Und doch bleibt viel zu tun. Vor allem haben wir uns vorgenommen, noch mehr um neue Mitglieder zu werben. Sie sind der Schlüssel zum Erfolg, in den Betrieben, in der Stadt. Ich werde Franks Appell in den nächsten Sitzungen beherzigen: "Schaut Euch um in Euren Gremien: Wie viele Jugendliche gibt es da?" Wir brauchen die Neuen, die Jüngeren - 53 Jahre war das Durchschnittsalter auf dem Kongress.

Frank Bsirske hat in seiner Grundsatzrede vom Organisationsgrad im Hamburger Hafen berichtet: Die Arbeit des Hafenarbeiters und der Verkäuferin sei gleichermaßen hart, aber für den Lohn sei es nun mal entscheidend, ob alle in einem Betrieb in der Gewerkschaft sind oder nur 20 Prozent. So einfach ist das und so schwer.

Philip Jennings hat uns alle mitgerissen. Der Generalsekretär der internationalen Gewerkschaft UNI-Welt berichtete von einem Treffen mit Angela Merkel. Was er denn beruflich mache, wollte sie wissen. "Ich bin die globale ver.di", habe er geantwortet. Ihre Reaktion: "Eine Katastrophe." Philip wendet sich zu Frank Bsirske und Margret Mönig-Raane und ruft: "Frank, Margret, ich bin stolz, eine globale Katastrophe zu sein!" Da bebte der Saal vor Gelächter, so ansteckend fröhlich kann der Stolz der Gewerkschafter sein.

Wir brauchen die Neuen

Wir haben uns um gute Arbeit gekümmert, auch in den kirchlichen Betrieben. In Hamburg haben die Beschäftigten in kirchlichen Krankenhäusern gezeigt, dass sie bereit sind, für Tarifverträge auch zu streiken. Der Kongress hat diese Haltung nachdrücklich unterstützt - das Streikrecht gehört für uns dazu. Eine Kollegin aus einem evangelischen Krankenhaus hat es so formuliert: "Wir bestreiken nicht Gott, sondern die Kirchenoberen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben."

Und die Gewissheit wächst: Der Mindestlohn ist nicht zu stoppen. Jede und jeder Fünfte in Deutschland bekommt nur Niedriglohn. Deutschland ist eine Art Europameister im Niedriglohn geworden - auch das ein Grund der Krise.

Ja, wir haben alle gespürt, dass mehr abstürzen könnte als nur die Börsenkurse. Wir stellen uns den "Kaputtmachern" in den Weg, wir haben unsere Alternativen formuliert, wir setzen das Gemeinwohl vor den Profit. Auf dem Heimweg aus Leipzig fühlen wir sie: die Kraft, die noch viel bewegen wird.