Der Gott des Gemetzels | Ein Spielplatz, zwei Jungs, ein Stock. Heraus fliegen anderthalb Schneidezähne, weswegen sich nun die Eltern getroffen haben, um die Konsequenzen gütlich und zivilisiert zu besprechen. Gastgeber in diesem Fall ist Penelope (Jodie Foster) als engagierte Mutter des Opfers, eine kunstaffine Buchhändlerin, die ihren Anteil zur Weltverbesserung mit einem Buch über das Leiden in Darfur zu leisten bereit ist, sowie ihr bodenständiger Mann Michael (John C. Reilly), ein Metallwarenhändler. In der bürgerlich und stilbewusst eingerichteten Wohnung hat man soeben das Nötigste besprochen. Der Tathergang ist protokolliert, die Zähne werden ersetzt, den Rest regelt die Versicherung, es war nett, auf Wiedersehen. Anwalt Alan (Christoph Waltz) mit angewachsenem Mobiltelefon und Nancy (Kate Winslet), Investmentberaterin und magenschwache Mutter des Tätersohns, sind froh, der demütigenden Situation zu entkommen.

Da bricht die dünne Decke der Beherrschtheit auf, ein aufrichtiges Wort entschlüpft, und die Diskussion erhält einen gänzlich neuen Schwung. Was folgt, sind Szenen zweier Ehen, in denen es ans lang Eingemachte geht und jede Noblesse bald vergessen ist.

Dass Roman Polanski das erfolgreiche Theaterstück von Yasmina Reza zur Vorlage für seinen neuesten Film ausgewählt hat, mag an seiner eigenen Erfahrung mit begrenztem Raum zu tun haben. Es ist sein erster Film, seit er eine Fußfessel tragen musste. Und wie Hitchcocks Cocktail für eine Leiche spielt sich die gesamte Handlung in der einen Wohnung ab und wurde in Echtzeit gedreht. Der Rest ist ein Fest für die brilliante Schauspielerriege. Denn schnell beginnt die korrekte Fassade zu bröckeln, wird die aggressiv-lauernde Stimmung hör- und sichtbar und schließlich eigentlicher Gegenstand der Auseinandersetzung. Wer hier am meisten Spaß hatte, ist schwer zu entscheiden: Jodie Foster mit dem basedowschen Blick politischer Korrektheit, Christoph Waltz als sarkastischer Ignorant, Kate Winslet als Tulpenmörderin oder John C. Reilly als Pantoffelheld, der unter dem Hamster der Tochter zu leiden hat. Es ist ein herrlicher Zoff, der die wundersame Welt der Erwachsenen hier bis auf die Knochen freilegt. Er vermittelt die wohlige Vorstellung, dass auch bei anderen nichts so ist, wie es scheinen soll. Dass es aber ab und zu gut tut, das innere Tier mal an die Luft zu lassen. Jenny ManschD/F/P 2011. R: ROMAN POLANSKI. D: JODIE FOSTER, KATE WINSLET, CHRISTOPH WALTZ, JOHN C. REILLY. KINOSTART: 24.11.2011


Die verlorene Zeit | In einer Reinigung auf die Tischdecken warten, vor Langeweile vielleicht ein Interview im Fernseher des Besitzers verfolgen. Den grauhaarigen Polen im Bild genauer betrachten. Plötzlich ist Hannah nicht mehr die Hausfrau in der Partyplanung von 1976, sondern wieder im KZ, halb verhungert. Und so schrecklich verliebt... Es fällt nicht leicht, sich im Kinofoyer für den 823. Nazifilm zu entscheiden. Wer sich dem Zweiten Weltkrieg erneut stellen will, wird mit einem spannend inszenierten Ausbruchsmovie belohnt, das auf tatsächlichen Begebenheiten beruht: Vor- und Rückblenden zwischen der gemeinsamen Flucht aus dem Konzentrationslager und dem gesetzten Leben in der Ostküstenmetropole bzw. der polnischen Provinz. Der Film wird der Grausamkeit von Antisemitismus und jener tot geglaubten großen Liebe gleichermaßen gerecht. Aber wieso dachte Hannah damals eigentlich, dass ihr Tomasz umgekommen wäre? So führt das Filmende auf die Spur von ganz persönlichen Unmenschlichkeiten. Sowie zu einer Busreise durch Polen. jv

USA/PL/DE 2011 R: ANNA JUSTICE. D: DAGMAR MANZEL, ALICE DWYER, MATEUSZ DAMIECKI, SUSANNE LOTHAR, 105 MIN., KINOSTART: 24.11.2011


Jane Eyre | Seit Charlotte Brontës Roman 1847 zum ersten Mal erschien, triumphiert das Mädchen als Inbegriff von Tapferkeit. Bei jeder Form von Unterdrückung teilt sie den überraschten Erwachsenen ihren Unwillen mit, und sobald Mia Wasikowska in dieser Neuverfilmung die Stirn runzelt, kapituliert früher oder später jeder vor Janes Persönlichkeit. So auch der betrübte Rochester im Herrenhaus, ihr erster Arbeitgeber, der Ihr zuliebe Klassenschranken sausen lässt und den berühmtesten Bigamie-Antrag der Literatur- und Filmgeschichte stellt. Wie Jane Eyre mit einem Brand und der geplatzten Hochzeit umgeht, dabei den Mann sowie ihr Selbstbewusstsein rettet, wie sie geschickt verzichtet und brutal unbeugsam ist, das erzählt jetzt Jungregisseur Cary Joji Fukunaga. Der hat bereits in seinem Bandenkriegfilm Sin Nombre die Grenzlinien zwischen Liebe, Tragik und Heroismus neu vermessen. jv

GB 2011, R: CARY FUKUNAGA. D: MIA WASIKOWSKA, MICHAEL FASSBENDER, JUDI DENCH, 120 MIN., KINOSTART: 1.12.2011


Der Doktor und das liebe Vieh – Komplettbox | Nur der WDR holt bis heute tapfer mal eine Staffel aus dem Regal und zeigt sie noch in seinem Nachmittagsprogramm: Die Geschichten um den britischen Tierarzt James Herriot, der sich im rauen Yorkshire der 30er Jahre um Wissenschaft und Aufklärung abergläubischer tierärztlicher Praktiken bemüht, gehören zu den Klassikern der BBC-Produktionen aus der Zeit Ende der 70er Jahre. Bis 1990 waren die Leute nicht von der Glotze weg zu kriegen, solange eine der Folgen um den Lebemann und Praxisinhaber Siegfried Farnon, seinen leichtfüßigen, aber gut gekleideten Bruder Tristan und den neuen Tierarzt James Herriot lief. Ganz zu schweigen von den Patienten: Am beliebtesten waren die armlangen Rektaluntersuchungen muhender Vierbeiner, veterinärer Höhepunkt in beinahe jeder der insgesamt 130 Folgen. Die Gesamtschau im schicken Tweed-Schuber enthält auch die erstmals deutsch synchronisierte Fassung der Weihnachtsspecial-Folge von 1990, es gibt Interviews und viel Wissenswertes über die spannenden Hintergründe der Serie. Eine Wohltat von Fernsehspiel, im gemächlichen Tempo der Zeit und digital optimiertem Look. jm

DVD-KOMPLETTBOX, 27 DISCS, L.: 4386 MIN., BONUSMATERIAL CA. 547 MIN., SPRACHEN: DEUTSCH, ENGLISCH, 80 €