Hektisch wird es zur Weihnachtszeit im Amazon-Zentrallager in Graben bei Augsburg

Jedes Jahr zur Weihnachtszeit stellt Amazon an seinen mittlerweile fünf Lager-Standorten rund 10.000 Saisonkräfte ein. Einen Teil des Einsatzes lässt sich der Internet-Versanddienstleister von Arbeitsagenturen und Jobcentern bezahlen. "Maßnahme bei einem Arbeitgeber" heißt dieses Instrument zur Förderung der beruflichen Eingliederung offiziell, gemeint ist ein Praktikum von bis zu vier Wochen. In dieser Zeit erhält der Arbeitslose weiter sein Arbeitslosengeld, den Arbeitgeber kostet der Einsatz nichts. Bei rund einem Drittel der Amazon-Saisonkräfte sei das so, sagte der Leiter der deutschen Logistikzentren, Armin Cossmann, in einem Interview mit Spiegel online. Nur wenige können danach auf Übernahme hoffen, und wenn, dann oft nur befristet.

Thomas Schneider betreut für ver.di die Beschäftigten im Amazon-Zentrallager in Leipzig. Er hat festgestellt, dass dort in diesem Jahr nur noch vereinzelt Saisonbeschäftigte in Trainingsmaßnahmen eingesetzt werden. Das liegt seiner Meinung nach daran, dass nicht mehr so viele Beschäftigte von den Arbeitsagenturen vermittelt werden. Außerdem schauten die Agenturen aufmerksamer hin bei der Bewilligung: Sie prüften genauer, ob damit die tatsächliche Aussicht auf einen Job verbunden sei. "In den vergangenen 20 Jahren waren von den Arbeitsagenturen bezahlte Praktika hier in Leipzig gängige Praxis", sagt Schneider. Nicht nur bei Amazon, auch bei anderen Firmen. Er kennt den Fall eines Lebensmitteldiscounters, bei dem geringfügig Beschäftigte erst mal ein von der Arbeitsagentur finanziertes Praktikum machen müssen, bevor sie in Teilzeit eingestellt werden.

Für Bernhard Jirku, der beim ver.di-Bundesvorstand den Bereich Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik leitet, sind die bezahlten Praktika nichts Neues. Nach den aktuellen Gesetzen seien sie zulässig. "Dennoch sind sie nicht nur ein ethisches Problem", sagt er. "Der Wettbewerb wird verzerrt. Unternehmen sparen beim Lohn von Aushilfen und führen eine Probezeit jenseits des aktuellen Arbeitsrechts ein." Jirku kennt Fälle, in denen Betriebe Arbeitsplätze mit immer neuen Praktikant/innen besetzen. Außerdem weiß er von Erwerbslosen, die immer wieder auf neuen Praktikumsstellen eingesetzt werden. Vorteil für die Arbeitsagenturen: Diese Erwerbslosen tauchen nicht mehr in der Statistik auf. Den Betroffenen bleibe keine andere Wahl, als die Jobs anzunehmen, sonst drohen ihnen Sanktionen. Der Einsatz von Personen, die Arbeitsagenturen und Jobcenter aus Steuermitteln und Beiträgen bezahlen, sei unter anderem im Handel, in Wohlfahrt, Pflege und Gesundheit verbreitet, sagt Jirku. Meist seien es einfache Tätigkeiten.

Wie viel Geld die Arbeitsagenturen für diese Praktika ausgeben, kann die Bundesagentur für Arbeit nicht angeben. Das richte sich nach der individuellen Höhe des Arbeitslosengeldes und der Fahrtkosten, sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. 2011 seien bis Ende November 365 530 dieser Maßnahmen bewilligt worden, jeweils rund zur Hälfte für Langzeitarbeitslose und für Bezieher/innen von Arbeitslosengeld I. Die Berater/innen seien jedoch angewiesen, darauf zu achten, dass hinter den Praktika die Aussicht auf einen sozialversicherungspflichtigen Job stehe. Nach den Zahlen aus dem Oktober 2010 waren sechs Monate nach dem Praktikum 62,2 Prozent der ehemals Arbeitslosen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Aber daraus ist nicht ersichtlich, ob es sich um die Firma, in der das Praktikum geleistet wurde, handelt oder ob die Tätigkeit befristet ist. "Generell geht der Trend auf dem Arbeitsmarkt aber zu befristeten Verträgen", sagt die BA-Sprecherin.

Roland Radutzki* war 2004 für damals noch zulässige sechs Wochen Praktikant bei einer Logistik-Firma im nordrhein-westfälischen Holzwickede. Danach bekam er den Job. In den folgenden Jahren erlebte er jedoch immer wieder, wie von der Arbeitsagentur bezahlte Leute dort ein Praktikum machten und nicht übernommen wurden. "Da wird doch der Arbeitnehmer zum Sklaven", sagt er. "Wenn ich als Unternehmen Mitarbeiter suche, kann ich sie auch fest einstellen." Die Unternehmen würden sparen, während die Arbeitssuchenden viele Hoffnungen an so ein Praktikum hängen. "Das finde ich einfach frech", sagt Radutzki.

* Name geändert

Unterstützung per Brief

Die bei ver.di organisierten Beschäftigten von Amazon kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen (siehe ver.di PUBLIK Ausgabe 10_2011). Unter anderem haben sie Kund/innen des Internetversandhändlers gebeten, sie mit einem Schreiben an die Geschäftsführung in diesem Kampf zu unterstützen. "Den Beschäftigten tut es gut, dass sie von außen so viel Unterstützung bekommen", sagt Heiner Reimann, der als Organizer ein ver.di-Projekt für die Amazon-Beschäftigten in Bad Hersfeld betreut. Auf die mittlerweile eingegangen Schreiben hat die Geschäftsführung reagiert. Sie schreibt, dass sie die Beschäftigten mit Respekt behandele. Allerdings würden Personalthemen wie die Höhe des Gehalts mit den Beschäftigten und dem Betriebsrat besprochen. Mit dieser Antwort sind die Kolleg/innen nicht zufrieden. Sie bauen und hoffen auf viele weitere Briefe, die bei der Geschäftsführung eingehen. Ein Musterschreiben steht auf der Website www.amazon-verdi.de unter dem Stichwort "Aktion Rückschreiben". Auf der Seite gibt es viele weitere Informationen über die Arbeitsbedingungen bei Amazon - meist geschrieben von den Beschäftigten selbst.