Ausgabe 01/2012
Die nächsten Milliarden für uns
Die Tarifrunde 2012 für zwei Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst beim Bund und in den Kommunen hat begonnen. Die Forderung von ver.di ist beschlossen, es geht um mehr Geld. Ab 1. März wird verhandelt
60 Tage, 30 Städte, ein Ziel: Während der Tarifrunde tourt der ver.di-Tariftruck durch Deutschland, um das Motto der Beschäftigten zu transportieren
Von Claudia von Zglinicki
Die ver.di-Mitglieder haben diskutiert, gestritten und sich am Ende festgelegt, und die Bundestarifkommission hat am 9. Februar entschieden - im Wissen, was die Kolleg/innen im öffentlichen Dienst beim Bund und in den Kommunen von der Tarifrunde dieses Jahres erwarten. Einig waren sich alle darüber, dass es nicht um einen "Blumenstrauß" von Forderungen gehen soll, sondern - bei seit Jahren bestehendem Nachholbedarf der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegenüber denen in der Privatwirtschaft - in erster Linie um eines: um mehr Geld, das in der Tasche der Kolleginnen und Kollegen bleibt. "Um Entgelt und sonst gar nichts", wie es in der Bundestarifkommission hieß. Höhere Löhne und Gehälter für Krankenschwestern und Altenpflegerinnen, Busfahrer, Angestellte in den Rathäusern, Schulsekretärinnen, Feuerwehrleute und viele andere, die unsere Gesellschaft täglich braucht. Die bundesweite ver.di-Kampagne steht unter dem Motto "Wir sind es wert". Was sich mit dem Slogan aus Baden-Württemberg gut verbinden lässt: "Aktiv für mehr Geld - die nächsten Milliarden für uns!"
Konkret: ver.di fordert in der Tarifrunde 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt, mindestens aber 200 Euro pro Monat mehr. Dazu die unbefristete Übernahme der Auszubildenden nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung, 100 Euro mehr Ausbildungsvergütung und die Erstattung der Fahrtkosten zur Berufsschule. Der neue Tarifvertrag soll zwölf Monate gelten, die Ergebnisse sollen auf die Beamt/innen beim Bund übertragen werden. Verhandeln werden die ver.di-Vertreter/innen wieder gemeinsam mit der dbb tarifunion, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Gewerkschaft der Polizei.
"Diese Forderung ist genau das, was wir in unserem Betrieb haben wollen", sagt Rainer Hahn souverän. Er ist Mitglied der Bundestarifkommission und Personalratsvorsitzender bei der Stadtreinigung Hamburg. Mit diesem Ergebnis kann er sich vor seine Kollegen stellen, keine Frage. "Mit offenem Visier", wie er sagt. Gerade die soziale Komponente, die im Mindestbetrag steckt, also die Forderung, dass bei der prozentualen Lohnerhöhung für jeden mindestens 200 Euro herauskommen soll, wollen sie durchsetzen. Von den knapp 2500 Beschäftigten der Hamburger Stadtreinigung werden rund 2000 von einem Mindestbetrag in der Höhe profitieren, rechnet Rainer Hahn. Die Entsorger in der Müllabfuhr zum Beispiel und die Männer der Straßenreinigung. In den unteren Entgeltgruppen bedeuten 200 Euro viel mehr als sechseinhalb Prozent.
Das wollen wir
Vor der Abstimmung über die Forderung haben Vertreter/innen aus allen Landesbezirken in der Bundestarifkommission erklärt, wofür ihre Kolleginnen und Kollegen sich in den vergangenen Wochen ausgesprochen haben. Wofür sie auch bereit sind, aktiv zu werden, wenn es sich als nötig erweist, bis hin zu Warnstreiks und selbst bis zum Erzwingungsstreik. Rainer Hahn hat für Hamburg in der Bundestarifkommission gesprochen. Seine Kollegen "stehen Gewehr bei Fuß", hat er unumwunden gesagt. "Aber nur für eine griffige tabellenwirksame Lohnerhöhung. Dafür gehen meine Kollegen auf die Straße, wenn es sein muss. Und das kann dann auch gern ein paar Tage dauern." Rainer Hahn weiß, was seine Leute wollen - und wie viele sie sind. In der Hamburger Stadtreinigung sind 80 Prozent der Beschäftigten ver.di-Mitglieder. Natürlich weiß er auch, dass die Aktiven in manch anderem Betrieb, Fachbereich oder Bundesland von so einem Organisationsgrad noch weit entfernt sind. Daher kommt "eine gewisse Bandbreite bei der Streikbereitschaft", räumt er ein. Umso wichtiger sind die gemeinsame Forderung und die Punkte, in denen sich alle einig sind.
Wir werden laut sein
Dazu gehört, dass die Forderungen der ver.di-Jugend von allen unterstützt werden. "Erstens: die Übernahme, zweitens: Kohle! Das wollen wir haben", sagt Timo Klein, der Krankenpfleger aus Hessen, der für die ver.di-Jugend in die Verhandlungskommission gewählt wurde. "Aber dafür tun wir auch was - sonst könnten wir ja nichts fordern. Wir werden laut sein, wir werden auffallen. Man wird uns wahrnehmen."
Entschieden haben sich die Frauen und Männer der Bundestarifkommission einstimmig für eine "Nebenforderung", die die Theater betrifft. Auch für die technischen Beschäftigten mit künstlerischen Aufgaben soll der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) künftig gelten. Dafür muss sein Geltungsbereich erweitert werden. Beschlossen wurde auch, für die Beschäftigten auf den Flughäfen wegen besonderer Belastungen durch die Sicherheitsbestimmungen 90 Euro zusätzlich zu fordern. Und: Nicht in der Tarifrunde, aber sofort danach sollen Verhandlungen für die Beschäftigten der öffentlich-rechtlichen Sparkassen aufgenommen werden. Da muss sich einiges verändern, damit die Privatbanken mit ihrem besseren Tarifvertrag die jungen und guten Leute der Sparkassen nicht länger so leicht abwerben können.
Die Tarifverhandlungen beginnen am 1. März. Schon zu diesem ersten Termin erwartet ver.di ein ernstzunehmendes, verhandlungsfähiges Angebot von den Arbeitgebern. Schon jetzt ist der Truck der Gewerkschaft unter dem Motto "Wir sind mehr wert" unterwegs durch Deutschland. Er wird die Forderungen in viele Städte und Gemeinden transportieren. Was keine unauffällige Aktion sein wird. Die Tarifrunde hat begonnen, leise wird sie nicht. Die Kolleg/innen von Rainer Hahn und Timo Klein und viele andere werden dafür sorgen. Die Forderung ist erst der Anfang. Entscheidend ist, was "unterm Strich rauskommt", sagt Hahn.