Unheilig: Lichter der Stadt | Der Erfolg gibt ihm Recht. Und dieser Erfolg wird Unheilig auch mit Lichter der Stadt nicht wieder verlassen. Der Graf hat nicht nur sein Erfolgsrezept, das Große Freiheit zum Millionenseller machte, wieder angewendet – er hat es für dieses bereits achte Album sogar noch konsequenter umgesetzt. Wieder sind seine Texte so allgemein gehalten, dass sie alles und nichts bedeuten können. In erstaunlicher Frequenz spickt Der Graf die Reime mit Begriffen aus dem Setzkasten der Romantik wie Freiheit oder Sehnsucht. Viel wird geträumt im gräflichen Kosmos von besseren, meist vergangenen Zeiten, und wenn die Nacht am tiefsten ist, dann kommt von irgendwo garantiert ein Lichtlein her. Die universell anwendbare Poesie ist mit elektronischen Marschrhythmen unterlegt oder in weichen Balladensound gepackt, aber immer ausgepolstert mit dem alles versöhnenden Hall. Denn Der Graf, der ist für alle da. Thomas Winkler

CD, Vertigo Berlin/Universal


Giora Feidman: Very Klezmer | Seit seiner Mitwirkung in Peter Zadeks Ghetto-Inszenierung Mitte der achtziger Jahre an der damaligen Freien Volksbühne in Berlin hat sich der Mann mit dem expressiven Klarinettenton in die Herzen gespielt. Nach Dutzenden von CDs und ungezählten Konzerten ist Feidman heute der unangefochtene Elder Statesman der Klezmer-Musik. Für den argentinischen Juden und klassisch ausgebildeten Musiker ist das aber kein Grund, sich auszuruhen. Auch in seinem 76. Lebensjahr nimmt Feidman die Strapazen ausgedehnter Tourneen auf sich. Und liefert dazu seine neue CD Very Klezmer. Der Clou: Der Klarinettist musiziert nicht mit eigenem Ensemble, sondern erstmals mit den Gitanes Blondes, einem Münchner Quartett, das mit Geige, Akkordeon, Gitarre und Kontrabass äußerst vital zu Werke geht. So entgeht die osteuropäische Schtetl-Musik der musealen Konservierung, öffnet sich für aktuelle Einflüsse und beweist abermals ihren universellen Charakter. Peter Rixen

CD, Pianissimo Musik


Die Türen: ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ | Man muss sich die wenigen Themen, die von der Popmusik bislang noch nicht entdeckt wurden, als eine kleine Runde sitzengebliebener Mauerblümchen vorstellen. Neuerdings ist aber selbst die Rentenproblematik sexy genug, um endlich zum Tanz aufgefordert zu werden. „Was ist der Mensch?“, fragen Die Türen gleich zu Beginn. Die Antwort: „Ein Rententier.“ So geht es fröhlich weiter auf dem vierten Album der Berliner Band, die nicht umsonst zeitweise mehrheitlich aus studierten Philosophen bestand und wieder mal ihr liebstes Thema beackert: Wie sich das kapitalistische System aller Lebensbereiche bemächtigt, von der großen Politik bis zum kleinen Privatglück. Doch: „Die Liebe kann nicht aufbau’n, was die Angst zerstört.“ Dem so verformten Menschen bleibt zum Widerstand nur der Humor. Den zelebrieren Die Türen nicht nur mit Wortwitz, sondern auch mit musikalischen Pointen, indem sie die Melodie von Demo-Sprechchören zitieren oder Stilmittel aus dem Schlager mit aktuellen Dance-Beats konterkarieren. Thomas Winkler

CD, Staatsakt/Rough Trade