Ausgabe 01/2012
Rechenzentrum besetzt
"Eine Schande ist das", rief Nikos Fotopoulos den Richtern zu, die am 1. Februar wegen Krankheit der Vorsitzenden Richterin zum wiederholten Male die Verhandlung in Athen vertagt haben. Nach Meinung des Vorsitzenden der Gewerkschaft GENOP-DEI bei der griechischen Stromgesellschaft DEI ist das Verfahren gegen ihn und 14 Kollegen ohnehin ein "politischer Prozess", mit dem gesellschaftlicher Widerstand gegen die über die Bevölkerung verhängte Sparpolitik diskreditiert werden solle.
Alles wegen einer nicht bezahlten Sondersteuer
Alle Angeklagten waren bei einer Gewerkschaftsaktion im November 2011 festgenommen worden. Für vier Tage hatte die GENOP-DEI damals das Rechenzentrum der staatlich kontrollierten Stromgesellschaft besetzt, bis es am 24. November von der Bereitschaftspolizei geräumt wurde. Mit der Besetzung sollte der Ausdruck von Bescheiden verhindert werden, nach denen hunderttausenden Griechen der Strom abgestellt werden soll. Sie alle haben zwar ihren Strom bezahlt, nicht jedoch die über die Stromrechnung zu begleichende neue Sondersteuer auf Immobilien.
Diese Steuer wirkt auf den ersten Blick wie eine Maßnahme , die endlich einmal die Reichen im Land zur Kasse bittet, doch sie schädigt in Wahrheit erneut Millionen Lohnabhängige, Rentner/innen, kleine Selbstständige und sogar Arbeitslose. Denn besteuert wird jede Immobilie und jedes winzige Häuschen, selbst wenn die bescheidenen vier Wände noch über Jahrzehnte bei der Bank abgestottert werden müssen.
Die Weigerung der Stromgewerkschafter, sich von der Regierung als Steuereintreiber missbrauchen zu lassen, ist Teil einer breiten Protestbewegung. Nach offiziellen Angaben haben mehr als eine Million der etwa 6,3 Millionen Hausbesitzer unter den elf Millionen Griechen die neue Abgabe nicht bezahlt, wobei viele sie auch gar nicht aufbringen können. Angesichts der Proteste hat die Regierung nun angekündigt, bei sozialen Härtefällen auf das Zwangsmittel verzichten zu wollen. Das gilt allerdings nur für Langzeitarbeitslose und Menschen, die lediglich eine Minirente beziehen.
Unbeirrt vom laufenden Verfahren hat Nikos Fotopoulos dagegen im Namen der GENOP zugesagt, dass "keinem Tagelöhner, Kleinverdiener oder Rentner" der Strom abgedreht wird. Notfalls werde man Blockaden organisieren, um die Arbeit der von der Stromgesellschaft angeheuerten Fremdfirmen zu behindern. Ähnliche Pläne hegen auch die besonders in den großen Städten entstandenen Stadtteilinitiativen, die die Bewohner ihrer Viertel beim Verweigern der Sondersteuer unterstützen. Außerdem kursieren im Internet sogar schon Videos, die zeigen, wie man einen unterbrochenen Stromzähler wieder in Betrieb setzt.
Der Nationalheld als Zeuge der Verteidigung
Am ersten und bisher einzigen Verhandlungstag gegen die Gewerkschafter sind im Januar leitende Angestellte der Stromgesellschaft als Zeugen der Anklage vernommen worden. Sie haben jedoch alle Fragen nach einer Behinderung durch die Gewerkschafter oder durch sie verursachte Schäden am Gebäude verneint.
Als Zeugen der Verteidigung haben die Gewerkschafter unter anderem den griechischen Nationalhelden Manolis Glezos aufgeboten, der im Mai 1941 zusammen mit Apostolos Santas die Hakenkreuzfahne von der Athener Akropolis gerissen hat. Heike Schrader