BERNHARD FRANKE ist Leiter des ver.di-Landesfachbereichs Handel in Baden-Württemberg und ver.di-Verhandlungsführer bei Schlecker

ver.di PUBLIK | Die Drogeriekette Schlecker ist zerschlagen, 25.500 Frauen haben ihren Job verloren. Manche Stimmen behaupten jetzt, ver.di trage die Schuld.Bernhard Franke | An der Schlecker-Pleite haben weder ver.di noch die Beschäftigten schuld, sondern allein ein Unternehmer, der jahrelang alle Warnsignale ignoriert und die Kette nie auf eine wirtschaftlich gesunde Grundlage gestellt hat. Und auch die FDP hat ihren Anteil an der bitteren Lage, weil sie aus politischem Kalkül eine Transfergesellschaft für die Frauen verhindert hat.

ver.di PUBLIK | Wie sieht es für die Schlecker-Frauen aus, denen schon vor zwei Monaten gekündigt wurde? Wie viele haben eine neue Arbeit gefunden?Franke | Bis zum 25. Juni waren bundesweit im Schnitt etwa zehn Prozent vermittelt, in Baden-Württemberg und Bayern etwas mehr, in anderen Regionen weniger. Ein Teil der Frauen ist inzwischen aus der Statistik verschwunden und steckt in Maßnahmen der Agentur für Arbeit. Alle großspurig verkündeten Aussagen, die Arbeitsagentur werde die Frauen problemlos in Jobs im Handel vermitteln, haben sich als falsch erwiesen. Und was ich ebenso schlimm finde: Die spärlichen Angebote sind zum großen Teil wirklich unterirdisch. Befristet, in Teilzeit oder geringfügig, häufig untertariflich bezahlt. Die Chefin der Arbeitsagentur Baden-Württemberg hat in einem Interview erklärt, die "guten Verdienstmöglichkeiten bei Schlecker" seien ein Vermittlungshemmnis. Den Satz muss man zweimal lesen - wir reden hier von Tariflöhnen im Einzelhandel!

ver.di PUBLIK | Wo siehst du jetzt noch Chancen für die Frauen - und vielleicht auch für die Kunden, die die Läden gebraucht haben, gerade in ländlichen Regionen?Franke | Es ist sehr hart, auch für mich, aber ich kann ihnen keine großen Hoffnungen machen. Wir haben gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter geprüft, ob es Teillösungen geben kann, ob man zum Beispiel Pakete, die aus mehreren Filialen bestehen, an andere Unternehmen abgeben kann. Das Ergebnis ist ernüchternd. Das Vorhaben scheitert daran, dass die Läden zu klein und zu schlecht gelegen sind, um für andere Unternehmer interessant zu sein. Andererseits hat der Gesamtbetriebsrat schon sehr früh die Initiative ergriffen, um ehemalige Schleckergeschäfte als Nahversorger auf dem Land zu etablieren, quasi als Dorfläden. Bei den Gemeinden fand das aber leider nur eine geringe Resonanz. Das Projekt Dorfläden wird auch deshalb immer schwieriger, weil Schlecker insgesamt zerschlagen worden ist, mit den Lagern. Es ist also keine Belieferung von dort mehr möglich.

ver.di PUBLIK | Und die Idee von Beschäftigten, kleine Genossenschaften zu gründen?Franke | Die gibt es noch. Eine Reihe von Frauen überlegt, sich mit dem Laden selbstständig zu machen oder ihn als kleine Genossenschaft weiterzuführen. Das kann wohl nur mit Unterstützung der öffentlichen Hand erfolgreich sein. ver.di empfiehlt Interessentinnen dringend, sich genau beraten zu lassen, ehe sie einen solchen Schritt wagen.

ver.di PUBLIK | Zum 30. Juni wurden die restlichen Anton- Schlecker-Läden geschlossen, seit dem 1. Juli sind die Beschäftigten erwerbslos und werden zur Arbeitsagentur geschickt. Ende Juli folgen dann zuletzt die XL-Läden und die Lager. Welche Chancen auf Abfindungen bestehen noch?Franke | Seit dem 25. Juni verhandeln der Gesamtbetriebsrat und der Insolvenzverwalter über einen Interessenausgleich und einen Sozialtarifvertrag für alle, denen jetzt noch gekündigt wurde und wird. Wie weit Abfindungsansprüche tatsächlich realisiert werden können, kann leider erst gesagt werden, wenn das Insolvenzverfahren abgeschlossen ist. Das kann - so hart es auch ist - noch viele Monate dauern. Es ist ein bitteres Ende. Die Schlecker-Frauen haben mit ver.di viele Jahre gemeinsam gekämpft. Deshalb ist auch klar, dass wir den Zusammenhalt und die Solidarität bewahren wollen. Wir werden unsere Kolleginnen im Gesamtbetriebsrat und in den Betriebsräten und unsere Mitglieder auch in den nächsten Wochen und Monaten auf Mitglieder- und Betriebsratstreffen weiter begleiten.

INTERVIEW: Claudia von Zglinicki

"Wir werden unsere Kolleginnen auch in den nächsten Wochen und Monaten auf Mitglieder- und Betriebsratstreffen weiter begleiten."