Berlin Alexanderplatz: Die Jugend im Handel weiß, was sie will...

"Bei uns stehen die Leute ungeduldig in den Startlöchern", sagt Günter Springer von Galeria Kaufhof aus Stuttgart. Springer gehört in der diesjährigen Tarifrunde im Einzelhandel zur ver.di-Verhandlungskommission in Baden-Württemberg. Auch Angelika Gantke von Real im bayerischen Kulmbach, Betriebsrats- und Tarifkommissionsmitglied, sagt, dass viele Kolleg/innen sensibilisiert sind: "Viele begreifen, wie wichtig es ist, Flagge zu zeigen. Sie arbeiten bereits am Limit und können sich keine Verschlechterungen erlauben." Und deshalb streiken die Beschäftigten jetzt auch in Baden-Württemberg und Bayern.

Die vom Handelsverband HDE gesteuerte Kündigung fast aller Manteltarifverträge zum 30. April hat einen neuralgischen Punkt getroffen. Dafür spricht auch der starke Zustrom zu ver.di: Mehr als 12.000 Beschäftigte aus dem Handel sind seit Beginn des Jahres in die Gewerkschaft eingetreten. "Hände weg von meinem Mantel!", das fordern auch sie nun. Schließlich geht es neben höheren Einkommen um die Abwehr eines Generalangriffs aufs "Eingemachte" - um Zuschläge, Eingruppierungen und viele Schutzregelungen.

Die ver.di-Lohn- und Gehaltsforderungen liegen in der Republik je nach Region bei einem Euro mehr pro Stunde beziehungsweise bei monatlich 6,5 Prozent oder 140 Euro mehr. In Hamburg will ver.di einen Festbetrag von 150 Euro durchsetzen. Die Forderungen berücksichtigen vor allem auch, dass in der Branche immer mehr Leistung gefordert wird.

Angelika Gantke, Günter Springer und viele andere betonen in ihren Betrieben jedoch, dass bei Verhandlungen allein nichts entschieden wird, die Belegschaften sich vielmehr aktiv beteiligen müssen. Das wurde Ende April auch bei einer ver.di-Warenhauskonferenz in Nordrhein-Westfalen deutlich. "Man sah viele neue Gesichter und spürte die große Bereitschaft, den Tarifvertrag zu verteidigen", sagt Betriebsrat Gerhard Löpke von Karstadt Dortmund.

Begonnen hat die Tarifrunde Ende März mit Streiks in acht Garten-Centern der Firma Dehner in Bayern. Dort streiten die Beschäftigten seit fast vier Jahren für die Tarifbindung und gegen Tarifflucht - in diesem Jahr in der Hauptsaison des Gartengeschäfts. Dehner ist nicht der einzige Tarifaußenseiter, mit dem ver.di im Konflikt steht. Gerade hat Globus mit seinen SB-Warenhäusern den Austritt aus dem Arbeitgeberverband angekündigt. Bei der Modekette Adler setzte sich eine Betriebsrätekonferenz im April dafür ein, dass der Haustarifvertrag im Entgeltbereich durch den Flächentarifvertrag abgelöst wird. Die erste Arbeitsniederlegung in der Unternehmensgeschichte gab es bei Amazon in Bad Hersfeld. Rund 500 Beschäftigte traten in den Warnstreik. Dort und in Leipzig, wo sich bei Urabstimmungen 97,6 und 97 Prozent der Befragten für Arbeitskampf ausgesprochen haben, wird ver.di in nächster Zeit zu ganztägigen Streiks aufrufen: Der Online-Händler soll sich an die Tarifkonditionen des Einzel- und Versandhandels binden. Noch liegen die Löhne dort deutlich unterm Branchenniveau.

Billiglöhne? Auf keinen Fall

Eindeutig fiel das Votum einer bundesweiten ver.di-Tarifkoordinierung für die Branche aus. "Die Arbeitgeber wollen die Bedingungen für viele Beschäftigte verschlechtern und nennen es Modernisierung. Wir nennen es Eingriff in unsere tariflichen Errungenschaften und Schutzrechte", sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Der HDE hatte angekündigt, über Billiglohngruppen für "weniger anspruchsvolle Tätigkeiten" und hochflexible Arbeitszeitregelungen verhandeln zu wollen. "Mit uns nicht, wir stehen wie eine Eins", so Nutzenberger.

Spürbare Verbesserungen der Einkommen bundesweit, das ist das Ziel. Entgelte unter 8,50 Euro werden nicht mehr akzeptiert. Über die Manteltarifverträge wird nicht verhandelt, so der ver.di-Beschluss. Ausnahmen sind Berlin und Brandenburg, dort sollen die diskriminierenden Ost-Abschläge bei den Sonderzahlungen abgeschafft werden.

Erste Tarifgespräche verliefen Ende April ergebnislos. Gleichzeitig baut sich seit Anfang Mai die erste Streikwelle auf. "Zurückhaltung wäre die falsche Antwort", sagt Stefanie Nutzenberger. "Wir sagen, wie wir die Tarifrunde ausrichten wollen - vor den Betrieben, auf der Straße."