Ausgabe 05/2012
Die Hoffnung ist nicht insolvent
Sie geben nicht auf und halten zusammen
VON Christina Frank
Der Poker um die Existenzen der Schleckerfrauen ging grausam zu Ende. In den acht Stuttgarter Betriebsratsbezirken sind etwa 650 Frauen davon betroffen. Immerhin war es hier in den letzten fünf Jahren gelungen, flächendeckend Betriebsräte zu wählen und damit eine beispielhafte Entwicklung zu schaffen: Mit Mut und Durchhaltevermögen haben diese Frauen dem Lohndumping und den bedrückenden Arbeitsbedingungen ein Ende gesetzt. Lohngerechtigkeit und respektvoller Umgang im Arbeitsalltag sowie der Schutz der Menschenwürde waren für sie nicht nur Worte, sondern eine Lebenseinstellung.
Ist Lohndumping normal?
Schlecker-Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz machte bei der Gläubigerversammlung zum einen "Dumpinglöhne" im Handel, zum anderen das Nein der FDP zur Transfergesellschaft und das Versagen der Politik für die Zerschlagung der Schlecker-Kette verantwortlich. Die Konkurrenz - selbst der angeblich so faire dm-Drogeriemarkt - nehme es mit der Tariftreue nicht so genau, dort würden bis zu 22 Prozent weniger als das geltende Tarifniveau bezahlt. Damit liegen Rossmann und Co im Lohndumping-Trend des Einzelhandels, dessen Arbeitsplätze zunehmend von prekären Bedingungen geprägt sind.
Sofort drehte die Stuttgarter Zeitung Geiwitz das Wort im Munde um und fragte: "Zahlte Schlecker zu hohe Löhne?" Und in der Abendschau versicherte die Sprecherin der Arbeitsagentur, dass, wer von den Frauen "flexibel bei der Lohnhöhe" sei, auch gute Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz habe. Lohndumping als Normalität?
Für die Schleckerfrauen beginnt in dieser Situation eine schwierige Jobsuche. In der Stuttgarter Region liegt das Arbeitnehmereinkommen statistisch bei zirka 40.000 Euro im Jahr. Lebenshaltung und Mieten sind daran angepasst. Berichte von Betroffenen über die Vermittlung zeigen, dass die Schleckerfrauen im Durchschnitt für weniger als die Hälfte arbeiten sollen. Und nachdem seitens der Politik anfangs behauptet wurde, der Handel biete genügend Perspektiven, gibt man nun zu, dass das nicht stimmt und fordert eher die Umschulung der Frauen für Erziehungs- und Pflegeberufe.
Daher sind einige Schleckerfrauen am 5. Juni nochmals gemeinsam zur Gläubigerversammlung nach Ulm gefahren. Sie wollten den Hauptgläubigern direkt ins Auge sehen. Noch einmal, wie früher in guten Zeiten, mit Fahnen, Transparenten und Pfeifen - und mit viel Wut im Bauch. Diese Wut teilte auch die ver.di-Landesvorsitzende Leni Breymaier: "Was hier passiert, ist eine Katastrophe für die Schleckerfrauen und eine Schande für die soziale Marktwirtschaft." Breymaier forderte erneut und nachdrücklich Hilfen wie etwa einen Sonderfonds bei der Bundesagentur für Arbeit und Geld für Transfergesellschaften.
Auch deshalb denken viele Stuttgarter Schleckerfrauen in gewohnter Kampfesmanier daran, eine passende Form und einen passenden Rahmen zu suchen, um Filialen selbst weiterzuführen. ver.di Stuttgart hat die Gründung regionaler Genossenschaftsmodelle in die Diskussion gebracht. Mit der Solidarität der ver.di-Mitglieder im Rücken und insbesondere in strukturschwachen Gemeinden könnte das klappen. Die Zeit drängt, Perspektiven müssen ausgearbeitet werden. So endet die Schlecker-Erfolgsstory im Bezirk Stuttgart mit einem Silberstreif Hoffnung.
Was war, darf dennoch nicht vergessen werden. Der Journalist Hermann Abmayer arbeitet mit den betroffenen Kolleginnen an einem Buchprojekt, das die Leistungen der Frauen dokumentiert und würdigt. Zu Weihnachten soll es fertig sein.