Tarsicio Mora Godoy

ver.di PUBLIK | Kolumbien und die Europäische Union sind auf dem besten Weg, ein Freihandelsabkommen abzuschließen. Sie warnen auf Ihrer Rundreise in Europa vor den Folgen. Warum?

Tarsicio Mora Godoy | Grundsätzlich müssen wir erklären, was diese Abkommen bedeuten. Sie erleichtern schließlich nicht per se den Handel, sondern werden von den mächtigen Nationen diktiert. So wird die Welt quasi neu aufgeteilt in Handelsräume und Einflusssphären, wobei die kleinen Unternehmen, Händler und Bauern unter die Räder kommen. Wir als Arbeiter wenden uns nicht gegen Handelsverträge, denn die Güter sollen und müssen ausgetauscht werden, aber wir kritisieren, dass es ungleiche Bedingungen gibt. In Ländern wie den USA und Japan und in der EU werden die Bauern systematisch unterstützt. So etwas gibt es in Kolumbien nicht - der Handel findet also unter unfairen Bedingungen statt. Das wollen wir unseren Kollegen hier erklären - auch wenn wir nicht mehr daran glauben, dass das Abkommen zwischen der EU und Kolumbien noch aufzuhalten ist.

ver.di PUBLIK | In den letzten Jahren ist die Zahl der Gewerkschafter, die in Kolumbien von Killerkommandos ermordet wurden, gesunken. Ist das Land sicherer geworden, können Sie wieder ruhiger schlafen?

Tarsicio Mora Godoy | In diesem Jahr haben wir schon elf ermordete Kollegen zu beklagen. Jeder einzelne ist einer zu viel. Und neben der Vernichtung von Menschen sind wir mit der Zerstörung unserer organisatorischen Strukturen konfrontiert. Die großen internationalen Konzerne lassen die Gründung von Gewerkschaften in ihren Unternehmen nicht zu. Parallel dazu garantiert die kolumbianische Legislative keinen Schutz für Gewerkschaften und deren Tätigkeit. Obendrein ist das Land geprägt von einer latenten Straflosigkeit, sodass Morde und andere Verbrechen de facto kaum geahndet werden. Letztlich legt die Verhaltensweise der Unternehmen nahe, dass sie die gewerkschaftliche Tätigkeit als Hindernis für die Entwicklung ihres Unternehmens ansehen. Das ist der Nährboden für die Allianzen zwischen Paramilitärs und Unternehmen, die für mehrere Fälle belegt sind.

ver.di PUBLIK | Die gewerkschaftliche Tätigkeit wird also brutal unterdrückt?

Tarsicio Mora Godoy | Ja, das ist Alltag in Kolumbien und auch Folge des neoliberalen Modells, das von der Regierung gefördert wird und zu zahlreichen Privatisierungen geführt hat. Dabei haben die Käufer immer wieder durchgesetzt, dass sie keine Gewerkschaften in den Unternehmen zulassen müssen. Um zu verhindern, dass Arbeiterinnen und Arbeiter sich organisieren, wird zu folgendem Repertoire gegriffen: physische Vernichtung von Menschen, psychologische Kriegsführung, Bestechung und die Entlassung von Beschäftigten, denen dann nur eine Abfindung gezahlt wird. In Kolumbien gibt es auf diese Weise einen permanenten Krieg gegen die gewerkschaftlichen Strukturen.

ver.di PUBLIK | In Deutschland wird vor allem registriert, dass die Zahl der ermordeten Gewerkschafter sinkt. Daraus schließt man, dass sich die Situation entspannt hat - ein Trugschluss?

Tarsicio Mora Godoy | Ob man hundert oder einen einzigen Gewerkschafter umbringt - es ist das gleiche Verbrechen: Mord. Aber in den kapitalistischen Gesellschaften, in denen wir heute leben, sagt man: Früher starben in Kolumbien jedes Jahr zweihundert Gewerkschafter, heute sind es nur noch fünfzig. Als ob man ein Verbrechen durch diesen Vergleich der Größenordnung relativieren könnte. Das geht nicht. Man kann nicht relativieren, dass in Kolumbien nach wie vor gemordet wird. Das sollte die Gesellschaft, meine wie Ihre, verurteilen.

Interview: Knut Henkel

Öffentlichkeit hilft

ver.di unterstützt Aktive in Kolumbien

"Öffentlichkeit ist für die Gewerkschaften in Kolumbien die beste Unterstützung", sagt Monika Brandl, die Vorsitzende des ver.di-Gewerkschaftsrates. Die Besuche von Ver.dianer/innen im Land, der regelmäßige Austausch und Tipps für die Neuorganisierung der kolumbianischen Gewerkschaften sind Schwerpunkte in der Zusammenarbeit von ver.di-Aktiven mit den Kolleg/innen in Kolumbien. Dadurch und durch Seminare mit gefährdeten Gewerkschaften wie der Asodefensa verändert sich der Umgang von staatlichen Institutionen mit den kolumbianischen Gewerkschafter/innen. So gibt es seit Februar 2012 wieder einen sozialen Dialog zwischen Staat und Zivilgesellschaft - und die Gewerkschaften sind dabei.

Aus der Chronik der Zusammenarbeit:

  • 2003 - 2012: Kontinuierlicher Kontakt zu Gewerkschafter/innen und anderen Aktiven in Kolumbien und zur kolumbianischen Botschaft in Berlin.
  • 2003/2007/2011: Teilnahme kolumbianischer Kolleg/innen am ver.di-Bundeskongress.
  • August 2010: ver.di-Delegation in Bogotá und Cali (mit der britischen Gewerkschaft Unison), erster direkter Kontakt mit Vertretern der Regierung.
  • Mai 2012: ver.di-Vertreterin bei der ersten Konferenz des Sozialen Dialogs in Kolumbien.