Mit der Lärmdemo und anderen Aktionen für bezahlbare Mieten, gegen Vertreibung und für das Recht von Migrant/innen, in Kreuzberg zu bleiben

Sie wollen bleiben: Die erste Reihe der Lärmdemo am Kottbusser Platz

Topfdeckel scheppern aufeinander und erzeugen ordentlich Lärm. Dann strecken sich die Hände der Menschen zum Himmel. Analog ertönt es: "Rauf mit den Löhnen - runter mit der Miete." Was wie eine kollektive Aerobic-Übung aussieht, ist die Lärmdemo, die in diesem Sommer fast jeden Samstag durch Berlin-Kreuzberg zieht.

Die Mädchenmannschaft des Berliner Fußballvereins Türkiyemspor ist dabei, viele Familien mit Kindern kommen, die erste Reihe bildet eine Gruppe türkischer Frauen. Überall sind "I love Kotti"-Aufkleber und Schilder zu sehen. Gemeint ist das berlinweit als Kotti bekannte Kottbusser Tor, der Ausgangspunkt der Demo gegen steigende Mieten. Auf einem freien Platz neben einer Bankfiliale ist dort im Mai der aus Palletten und Stellwänden zusammengezimmerte Info-Stand der Mietergemeinschaft "Kotti & co" entstanden. Es gibt Tee, Kaffee und täglich Kultur- und Infoveranstaltungen.

Fatma Erdem setzt sich auf eine der davor aufgebauten Holzbänke und unterhält sich mit den Nachbarn. Sie wohnt in einem der vielstöckigen Neubauten, die das Kottbusser Tor umschließen, und kennt die Probleme vieler hier lebender Menschen aus eigener Erfahrung: "Auch meine Miete ist in den letzten fünf Jahren um 100 Euro gestiegen. Jetzt zahle ich für eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung von 22 Quadratmetern fast 300 Euro." Fatma Erdem erzählt, dass sie 1970 aus der Türkei nach Berlin gekommen ist und seit dieser Zeit in Kreuzberg lebt. "Ich habe im Zehlendorfer Krankenhaus und auf dem Großmarkt in der Beusselstraße gearbeitet. Zu meiner kleinen Rente bekomme ich noch eine Witwenrente, zusammen sind das 700 Euro", sagt sie. "Unsere Forderung lautet, dass es in den Wohnungen hier eine Mietobergrenze von vier Euro pro Quadratmeter geben muss. Sonst muss ein Großteil der Nachbarn bald wegziehen."

Bei Gesprächen mit anderen wird deutlich, wie real diese Drohung ist - und wie tief der Frust über die Veränderungen in den Berliner Innenstadtbezirken sitzt. "Früher durften wir Berliner Türken nicht aus Kreuzberg wegziehen, jetzt will man die Leute hier weghaben", sagt Ayhan Oral, der seit 40 Jahren im Bezirk lebt und als Schichtarbeiter im Mercedes-Werk in Mariendorf arbeitet. "Dabei haben wir den Stadtteil zu dem gemacht, was er heute ist: attraktiv und beliebt."

Verdrängung und Neuvermietung

Wie einfach es ist, daraus Kapital zu schlagen, dass es viele Neu-Berliner seit einiger Zeit so sehr nach Kreuzberg zieht, zeigt der Preisanstieg bei Neuvermietungen in den vergangenen Jahren. Darunter fallen schon lange nicht mehr nur die begehrten Altbauwohnungen, sondern zunehmend auch die lange Zeit als unbeliebt geltenden Neubauten der vergangenen Jahrzehnte. Am Kottbusser Tor wurden die Häuser in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur mit Fördergeldern für den sozialen Wohnungsbau, sondern auch mit Sondermitteln errichtet, um Wohnraum für die sogenannten "ausländischen Arbeitnehmer" zur Verfügung zu stellen. Es flossen hohe Subventionen, an die Immobilienbranche und die Wohnungsbaugesellschaften, der Westberliner Baufilz kam zum Zuge. Aufgrund der niedrigen Löhne und der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt gab es für viele Arbeitsmigranten kaum Möglichkeiten, eine Alternative zum Wohnraum in den Sozialbauten zu finden.

Seit der Berliner Senat 2003 aus dem sozialen Wohnungsbau ausgestiegen ist und die ehemals landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW privatisiert wurde, nehmen die Probleme für die Mieter zu. Seitdem ist auch die vom Senat festgelegte Kappungsgrenze abgelaufen, und die GSW kann die Mieten frei erhöhen.

Am Kottbusser Tor betrifft das rund 3000 Wohnungen. Die steigenden Mieten und Betriebskosten haben dazu geführt, dass viele der ehemaligen Sozialwohnungen mittlerweile teurer sind als ungebundene Vergleichswohnungen. Gerade für Bewohner, die mit dem Wegfall industrieller Arbeitsplätze ihren Job verloren haben und von Hartz IV leben müssen, wird die Situation immer schwieriger. Die Jobcenter fordern von ihnen, dass sie ihre Kosten senken und sich notfalls eine neue Wohnung suchen.

So geht es auch Achmed Tuncar, der von Hartz IV lebt und mit seiner Frau und drei Kindern in einer GSW-Wohnung in der Nachbarstraße wohnt. "Zum Glück trägt meine Tochter zur Miete bei. Ich bezahle mittlerweile 1200 Euro Miete für 105 Quadratmeter. Aber wo sollen wir denn sonst hin?" Der Senat antwortet auf diese Frage, der Wohnungsmarkt in den Berliner Randbezirken wie Spandau oder Marzahn sei doch entspannt. Achmed Tuncar sagt. "Ich kann nicht nach Marzahn ziehen und mein Kind dort zur Schule schicken. Es gibt zu viel Ausländerfeindlichkeit in anderen Bezirken, das ist keine Alternative."

Erste Erfolge, nur der Senat bewegt sich nicht

Diese Alltagserfahrungen von Diskriminierung und Rassismus spielen in dem Engagement der Mietergemeinschaft eine wichtige Rolle. Offen reden die Nachbarn darüber, dass sie Jobs oder Wohnungen wegen ihres nicht-deutschen Namens nicht bekommen haben. Auch die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hat bei vielen Bewohnern mit Migrationshintergrund tiefe Verunsicherung über die eigene Sicherheit in Deutschland hervorgerufen. Das zu ignorieren, wie es die Mietergemeinschaft der Berliner Landesregierung vorwirft, wenn Umzüge an den Stadtrand vorgeschlagen werden, sei Ausdruck eines strukturellen Rassismus. Auch dieses gemeinsame Gefühl hat die Mietergemeinschaft zusammengeschweißt.

Ihr Proteststand steht seit Mai, rundum gab es eine Vielzahl von Aktionen. Und die Beharrlichkeit der Mietergemeinschaft zahlt sich aus. So hat die GSW individuelle Neuberechnungen der Betriebskosten vorgenommen und damit zum Beispiel die Nachzahlung einer Mieterin von 1000 Euro auf 174 Euro verringert. Eine weitere, am Kottbusser Tor aktive Wohnungsbaugesellschaft hat die umfassende Überprüfung der Betriebskostenabrechnungen angeordnet. Aber: Bei der zentralen Forderung nach einer Festlegung der Mietobergrenze für den ehemaligen Sozialwohnungsbau hat sich der Berliner Senat noch nicht bewegt.

Dafür verstärkt die Bewegung gegen steigende Mieten auch jenseits des Kottbusser Tors ihre Aktivitäten. So unterstützt im angrenzenden Bezirk Neukölln die Initiative gegen Zwangsräumungen schon seit Monaten die von Sozialhilfe lebende Rollstuhlfahrerin Nuriye Cengiz, die mit einer drastischen Mieterhöhung nach dem Verkauf ihrer Mietwohnung konfrontiert ist und sich fragt, was aus ihr werden soll.

Die 63-jährige Rentnerin ist durch ihre Willenskraft und nicht zuletzt wegen des Unterstützungsslogans "Ob Nuriye oder Kalle - wir bleiben alle!" zu einer Symbolfigur des Widerstands gegen hohe Mieten und die Verdrängung in den Berliner Innenstadtbezirken geworden. Diese Themen betreffen zwar Zehntausende von Menschen, bleiben im Alltag aber doch ein Problem des Einzelnen. Das Kotti-Protestcamp hat sich zu einem wichtigen Vernetzungsort entwickelt, der es mit seiner offenen Atmosphäre schafft, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen - die dann gemeinsam agieren. "Wir wollen da wohnen, wo es uns gefällt und wir uns zu Hause fühlen", sagt Ayhan Oral. "So schnell wird hier keiner wegziehen."

Mietwucher bundesweit

Eine Umfrage unter den Anwohnern des Kottbusser Tors in Berlin hat ergeben, dass jede zweite Familie dort inzwischen 40 bis 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgibt.

Solche Preise sind in Städten wie Hamburg oder München längst für die meisten Familien Realität. Mit der EuroKrise, in der Kapital verstärkt in Immobilien und Eigentumswohnungen investiert wird, um Profit zu machen, verschärft sich der Trend.

Dass es in Ballungszentren immer schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden, liegt aber auch am Rückgang von Sozialwohnungen. Laut Angaben des zuständigen Bundesministeriums ging allein in NRW die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung von 844.258 auf 543.983 zurück. Dass der Markt es nicht richten wird, scheint auch Bundesbauminister Peter Ramsauer, CSU, zu bemerken. Er forderte Ende Juni, mehr für den sozialen Wohnungsbau zu tun. Der Deutsche Mieterbund verlangt, dass auch die Bundesregierung sich mit Zuschüssen für die Wohnungsförderung stärker gegen steigende Mieten engagiert.

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