Ausgabe 07/2012
Bis zum Umfallen
Den schwarzen Schafen entschieden entgegentreten
Er ist Kurierfahrer bei einem Subunternehmen im Nordhessischen und nennt sich Max S.. Seinen wirklichen Namen will er nicht sagen, so wie sich kaum einer der Beschäftigten in diesem Schattenbereich von Kurier- und Paketdiensten öffentlich äußert. Denn das Netzwerk der Branche ist gnadenlos. Bei keinem der nordhessischen Subunternehmer - für welche Riesen, ob GLS, DHL oder Hermes diese auch immer tätig sind - wird man so schnell wieder Arbeit finden, wenn man über sie spricht. Wie aber sieht diese Arbeit aus?
Max S. erscheint pünktlich um 17.30 Uhr an seinem Startort in Bad Hersfeld. Zuvor hat er noch das Auto gewartet, Ersatzteile besorgt, getankt. Nun heißt es "ratz-fatz" beladen. Das macht er in der Regel nicht selbst, muss aber seine Augen überall haben, damit die Ladung richtig sitzt und bei der Fahrt nichts beschädigt wird. Laut Arbeitsvertrag muss er schon eine Strafe von 100 Euro bezahlen, wenn das Fahrzeug bei der Beladung nicht verschlossen ist; hat er sein Handy vergessen und holt es erst später, kostet das 25 Euro, ist die "Imagekleidung" nicht korrekt, weitere 25 Euro. Ein Bußgeld-Katalog umfasst 25 solcher Tatbestände. Damit der Arbeitgeber auf seine Kosten kommt, verlangt er zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses eine "Haftungsreserve" von 500 Euro, die immer wieder aufgefüllt werden muss. Verfolgt einen einmal das Pech, kommt das Arbeiten teuer zu stehen.
Am Rand der Sittenwidrigkeit
Hat Max S. alles gecheckt, kann es auf Tour gehen. Heute nach Dänemark. Der Routenplaner rechnet sechs Stunden und vier Minuten. Da darf aber keine Baustelle oder eine Macke am Auto nerven. Am Ziel schnell, schnell abladen und ausliefern (aber bitte umsichtig, sonst kostet es) und wieder zurück. Eine Pause mitgerechnet, ist Max S. rund 14 Stunden unterwegs. Wen wundert es, wenn er an der Zeit knapst, um schneller daheim zu sein.
Das macht er an fünf Tagen in der Woche für insgesamt 1 200 Euro brutto im Monat. Sein Arbeitsvertrag legt fest, dass sich die tägliche Arbeitszeit "nach den Anforderungen der Firma" richtet, dass außerdem alle geleisteten Mehr- und Überstunden sowie die Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit abgegolten sind. Sollte doch etwas "gewährt" werden, ist das freiwillig und kann jederzeit eingestellt werden. Der Arbeitsvertrag, der ver.di vorliegt, weist noch viele andere Eigentümlichkeiten auf. Aber immer, wenn es hart an den Rand der Sittenwidrigkeit geht, heißt es: Dieser Vereinbarung stimmt der Arbeitnehmer ausdrücklich zu.
Wer das nicht aushält und gehen will, auch weil die Familie protestiert, muss sich verpflichten, ein Jahr lang bei keinem anderen Subunternehmer der Region anzuheuern. Sonst droht eine Strafe von 5 000 Euro. Steht auch so im Vertrag. Es wäre einmal interessant zu wissen, was das Arbeitsamt dazu sagt. Wird hier ein zeitliches Arbeitsverbot für den Beruf verlangt? Gilt das zudem für die vielen befristet Tätigen, deren Arbeitsvertrag automatisch endet?
Unser Beispiel beschreibt den Subunternehmer Eikelmann mit Sitz in Helsa, ein kohlpechrabenschwarzes Schaf - aber andere sind nicht viel besser. Fragt man aber bei GLS nach, für den Eikelmann tätig ist, so wäscht man dort die Hände in Unschuld. ver.di-Sekretär Patrick Fois will verbindliche Regelungen. "Was sich im Bereich der Subunternehmen abspielt, erinnert an Sklaventum. Arbeiten bis zum Umfallen." Tarifverträge seien bislang ein Fremdwort. Deshalb starte ver.di jetzt eine Kampagne und fordere GLS als einen der fünf größten Kurier-Express-Paket-Unternehmen in Deutschland auf, die Zustellung in Eigenbeschäftigung vorzunehmen. Und zwar zu tariflich geregelten Bedingungen. Es geht um Arbeitszeit, Entlohnung und Gesundheitsschutz.
Für den Anfang könnte es ja schon ein Schritt sein, dass die Subunternehmer verpflichtet werden, die geltenden Tarifverträge anzuwenden. In Hessen beträgt der tarifliche Stundenlohn für Kurierfahrer und Paketzusteller derzeit 10,95 Euro.