Knut Wolfgang Maron, seit langem ver.di-Mitglied, hat seine Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt und diese letzte Phase ihres Lebens mit einem fotografischen Tagebuch begleitet. Wir zeigen Auszüge aus dem 200 Bilder umfassenden Werk mit einer Einführung des Essener Fotografen in seine Arbeit

Vier Jahre vor ihrem Tod bat meine Mutter mich, sie zum Augenarzt nach Bonn zu bringen und wieder abzuholen. Sie sollte durch eine Laseroperation den Grauen Star beheben lassen. Ich willigte sofort ein, und begleitete sie am Tage der Operation, die nach etwa anderthalb Stunden überstanden war. Sie trug eine dunkle Augenbinde, die ich als Metapher ihrer Verletzlichkeit wahrnahm. Es war ein einschneidender Moment, der die Stimmung der folgenden Zeit beherrschen würde.

Zu Hause machte ich das erste Portrait meiner Mutter. Dann kümmerte ich mich um das Abendessen. Da sie erschöpft war, ruhte sie sich etwas aus. Ich hatte im Vorratskeller und in der Waschküche zu tun, und beim Herausgehen bot sich mir ein Bild an, das das zweite in der Reihe sein würde. Es war der Blick durch die geriffelte Glasscheibe der Waschküchentür, umgeben vom Grau der Türrahmenlackierung, der mich gefangen nahm: Durch die Tür hindurch sah ich den pastellfarbenen Kittel meiner Mutter, der die plastische Form ihres Körpers angenommen hatte, und ihren roten Wollschal als ein Bild. Jenes erste Portrait und das Foto dieses Anblicks sollten die Schlüsselbilder zu Ein Leben werden.

Eine glückliche Fron

Ich blieb noch ein paar Tage bei ihr, bis meine Mutter wieder allein den Verrichtungen des Alltags nachgehen konnte. Sie war selbstständig, fuhr Rad, machte Besorgungen, kümmerte sich wie gewohnt um den Haushalt. Abends stopfte und strickte sie, las ein Buch oder ging mit Freunden ins Theater. Das eine oder andere Mal besuchte sie Freunde und Verwandte oder ihre zwei Kinder, meine Schwester Ulrika und mich.

Kleinere Aufenthalte im Krankenhaus in der Folgezeit bewogen mich, ihr stets Beistand zu leisten, wie auch Ulrika es tat. Ich übernachtete in ihrem Haus, und vor der Visite machte ich das ein oder andere Foto im häuslichen Umfeld. War sie genesen, holte ich sie ab und kümmerte mich um sie, so gut es ging. Meist begleitete mich dabei Marianne, meine Gefährtin, die sich sehr gut mit meiner Mutter verstand. Beide mochten sich. Im August 2001 fuhren wir alle gemeinsam zum runden Geburtstag meiner Schwester nach Berlin. Da war meine Mutter 81 Jahre alt. Ich holte sie in Bonn ab, und wir fuhren über Wismar, wo ich ihr voller Stolz das für meine Studenten entworfene Aufnahme-Atelier und das neu eingerichtete Fotolabor der Hochschule zeigte, an der ich unterrichtete. Im neuen Atelier fertigte ich ein weiteres Portrait an, von der 4,5 Meter hohen, fahrbaren Brücke aus, die über die Hohlkehle führt. Wieder unterwegs, spazierten wir an der Ostseeküste am Strand der weißen Stadt am Meer Hand in Hand. Wir feierten mit meiner Schwester Geburtstag. Dann fuhren wir wieder nach Hause, nach Bonn.

Die Intervalle der Krankenhausaufenthalte verkürzten sich. Die Beziehung zu meiner Mutter intensivierte sich. Ulrika, Marianne, Pflegepersonal und ich übernahmen die häusliche Betreuung. Weitere Portraits und Objektbilder entstanden. Und kleine Filme. Die meisten Bilder konnte ich ihr zeigen, wir besprachen sie und sie war sichtlich gerührt. Und einverstanden.

Die Situation im Badezimmer, die Einmachgläser im Keller. Das Portrait am Tisch, den Kopf in der Hand, erinnerte sie an Rodins Denker. Es waren ein besonderes Vertrauen und eine Intimität entstanden, aus denen heraus die Bilder erst möglich wurden. Meine Anteilnahme an ihrem Schicksal und ihr Vertrauen zu mir führten dazu, dass sich das Mutter-Sohn-Verhältnis völlig umkehrte. Aus der euphorischen Traurigkeit heraus, die das bei mir auslöste, gelangen mir Bilder, die nun zu mir über meine Mutter sprachen.

Nach ihrem Tode sollten dann nur noch die Alltagsgegenstände ihres Lebens zu mir sprechen, als wären es von ihr arrangierte Objekte. Über Jahre hinweg erarbeitete ich im nun verlassenen Haus den jetzt abgeschlossenen Zyklus. Stets am Wochenende von Freitag bis Sonntag. Ich machte Kontaktabzüge und arbeitete weiter. Nach Abschluss der Aufnahmen kam die Bildauswahl, was einerseits mühsam war, andererseits notwendig, um die Bildsemantik des Zyklus' zu entwickeln. Alle Aufnahmen habe ich selbst analog in unserem Farblabor in Essen vergrößert. Ich rang mit den zarten Farbtönen und jedem Millimeter des Negativs, um den Bildern gerecht zu werden. An einem Tag brachte ich es auf ein, manchmal zwei Bilder, selten mehr. Eine glückliche Fron.

Nach so vielen Jahren freue ich mich, dass für diese Arbeit nun eine adäquate Form gefunden wurde. In der Reflexion von Ein Leben im Kontext meiner gesamten Entwicklung als Fotograf ist mit klar geworden, dass meine großen Themen, die mich mein Leben lang begleiten, immer mit Verlust, Verletzung, Vergänglichkeit, Abwesenheit, Entfremdung, aber auch mit Würde und immer wieder Trauer zu tun haben, für die ich die "sprechendsten" Bilder suche, die "sagen", was ich erfahre.

Neben vielen, die mir die Arbeit ermöglichten, danke ich besonders Marianne. Ihr einfühlsames Sein, ihr tiefes Verständnis, sowohl für meine Mutter, als auch für mich, haben den inneren Raum für diese Arbeit geschaffen, ohne den ich sie nicht hätte leisten können.

Die Ausstellungsorte:

Kunsthalle Erfurt(bis 04.11.2012).

Kunstmuseum Mülheim / Ruhr (18.11.–13.01.2013). Vernissage, Sa., 17.11.2012, um 17 Uhr

Staatliches Museum Schwerin(22.02.–20.05.2013)White Box, New York (bis 29.11.2013)

Galerie Kabuth, Gelsenkirchenab 16.11.12 – Retrospektive

Galerie Zone B, Brunnenstraße 149, 10115 Berlin (bis 18.11.2012) – Daheim, Gosbert Adler & Knut Wolfgang Maron im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie.


Das Buch:

Dirk Blübaum und Gerhard Graulich (Hrsg.): Knut Wolfgang Maron – Ein Leben. Kerber Verlag 2012, 212 S., 35 €,

Buchkonzept und Gestaltung: Volker Heinze, www.kommunikation-i.de

Courtesy by: Galerie Kabuth, Gelsenkirchen, und Galerie Zone B, Berlin