Ausgabe 01/2013
Jede Menge Handlungsbedarf
von Birgit Tragsdorf
Die Arbeiterwohlfahrt, AWO, bietet soziale Dienstleistungen mit hoher Qualität und engagiert sich für soziale Gerechtigkeit. So steht es im Leitbild der AWO - auch in Sachsen-Anhalt. Für die Beschäftigten, gut qualifiziert und motiviert, ergibt sich aus diesem Anspruch allerdings ein Widerspruch: Gute Arbeit wird unzureichend bezahlt, die Belastung ist hoch. Von einem einheitlichen Tarifvertrag sind die Beschäftigten weit entfernt. Die Gründe dafür sind vielfältig, beginnen aber immer mit der stark zergliederten Struktur der AWO. In Sachsen-Anhalt gibt es zwei Regionalverbände, 13 Kreisverbände und den Landesverband mit eigenen Einrichtungen.
Ungerechtigkeiten beseitigen
Frank Dreyer arbeitet im AWO-Kreisverband Magdeburg. Er ist Betriebsrat und beschreibt, warum die Interessenvertretung für die 300 Beschäftigten in seinem Kreisverband so schwierig ist. Zur AWO in Magdeburg gehören ein Altenpflegeheim, Kindertagesstätten, Kinderheime, Wohngruppen, Beratungsstellen, sozialpädagogische Familienhelfer, Kleiderkammer, Begegnungsstätten. Meist arbeiten die als eigenständige Einrichtungen. Die zergliederte Struktur der AWO ist neben der Nichtzugehörigkeit der meisten AWO-Arbeitgeber zu Arbeitgeberverbänden ein Grund dafür, dass keine Tarifverträge in der Fläche existieren.
Überdies ist es schwierig, die Kolleg/innen zu motivieren, in ver.di und im Betriebsrat mitzuarbeiten. Für die 300 Mitarbeiter/innen im Kreisverband könnten neun Betriebsräte gewählt werden. Derzeit sind es sechs Betriebsräte. Eine Freistellung will keiner von ihnen. "Es ist wirklich schwierig, mit der Geschäftsführung zu verhandeln, es ist nervenaufreibend und oft ergebnislos", sagt Frank Dreyer.
Dabei besteht jede Menge Handlungsbedarf. Das Einkommensniveau gegenüber dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes vom März 2012 liegt in Sachsen-Anhalt bei 88 Prozent. Eine Erzieherin der AWO in Magdeburg mit 16 Jahren Berufstätigkeit hat bei einer 40-Stunden-Woche 2 252,56 Euro brutto Verdienst. Ihre Kollegin im öffentlichen Dienst oder in der Kitagesellschaft in Magdeburg hat dagegen ein monatliches Bruttoeinkommen von 3 075,36 Euro. Das ist in anderen Einrichtungen ähnlich.
Die AWO macht in jedem bekannten Arbeitsvertrag, so ver.di-Gewerkschaftssekretärin Christine Stoffl, auf die Anerkennung des besonderen Charakters der AWO und ihrer Einrichtungen aufmerksam und verbindet dies damit, dass die Kolleg/innen zur Erledigung dringender, unaufschiebbarer dienstlicher Aufgaben über die normale Arbeitszeit hinaus zur Verfügung stehen sollen. Die Erwartungen der AWO an ihre Beschäftigten sind sehr hoch. Auf der anderen Seite werden die Leistungen und Tätigkeiten der Beschäftigten aber nicht durch eine angemessene Bezahlung vergütet, gute Arbeitsbedingungen fehlen.
"Wir müssen als Betriebsräte und ver.di an dieser ungerechten Bezahlung und der zunehmenden Arbeitsverdichtung etwas ändern, und wir müssen uns mehr untereinander austauschen", sagt Frank Dreyer.
Austausch an erster Stelle
Ein erster Schritt für eine bessere Vernetzung wurde Ende des vergangenen Jahres gemacht, als sich auf ver.di-Einladung die AWO-Betriebsräte zu einer Fachtagung trafen. Themen waren die Unternehmensstruktur, die Tarifsituationen, die Mitbestimmung, Erfahrungsaustausch und Praxisberichte und Fragen um die Gründung eines Gesamtbetriebsrates. Treffen wird man sich nun jährlich. "In NRW wurde im vergangenen Jahr bei der AWO ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten abgeschlossen", sagt Christine Stoffl. "Da wollen wir in Sachsen-Anhalt hin. Und dafür müssen die Kolleginnen der AWO selbst noch aktiver werden - und zu ver.di kommen."