Der reichste Lebensmitteldiscounter Deutschlands feiert sein 100-jähriges Bestehen. Für die Beschäftigten gibt's nicht mehr als einen warmen Händedruck. Doch Druck haben sie ohnehin schon viel zu viel

Kein Herz für die Beschäftigten - Aldi ist nur an der Rendite gelegen, vor allem auf Kosten des Personals

Festliche Stimmung mochte an diesem 10. April im Aldi-Lager Großbeeren bei Berlin nicht so recht aufkommen. Da sich die Zentrale im fernen Essen den Tag für das Jubiläum "100 Jahre Aldi" ausgeguckt hatte, weil Urahn Karl Albrecht damals einen Laden eröffnet hatte, bekamen alle ein Geschenk: einen bunten Kundenflyer plus Händedruck, mehr nicht. "100 Euro wären mir lieber gewesen", sagt eine der Großbeerener Aldi-Beschäftigten. "Ein Euro pro Jahr, das wäre nach Aldi-Maßstab großzügig gewesen."

Doch nicht einmal das war drin. Und so sagt der knauserige Dank viel über die Philosophie der Discounter-Könige Albrecht und ihrer Nachfahren aus. Ihr Rezept für den Erfolg ist seit 100 Jahren der Druck auf alle Kosten. Es mischt sich aus Erfindungsreichtum und Gnadenlosigkeit in der Personalführung sowie bei den Lieferantengesprächen. Und das lässt seit 1962 bis heute in 4300 Filialen die Gewinne sprudeln.

Einzeln in die Mangel genommen

Nur zwei Tage nach dem kargen Jubel-Akt in Großbeeren kommt es in Berlin-Tempelhof zu einem Vorkommnis, das regelmäßig überall bei Aldi stattfindet. Man bittet Beschäftigte allein zu einer Besprechung, wo sie dann plötzlich von zwei Vorgesetzten unter Drohungen in die Mangel genommen werden. Am Ende sind sie völlig verschüchtert oder entnervt, unterschreiben Eigenkündigungen oder Aufhebungsverträge wegen angeblicher Verfehlungen. "Entweder die Betroffenen sind zu teuer, haben Forderungen etwa zur Arbeitszeit oder verhalten sich in anderer Weise nicht Aldi-konform", sagt der frühere Betriebsrat Manfred Birkhahn (siehe Interview). Die Firma erspare sich so kostspielige Konflikte.

Vor allem der Umgang mit der Arbeitszeit ist entlarvend. Seit Jahren sperrt sich Aldi gegen eine elektronische Zeiterfassung in den Läden, wie das Betriebsräte und ver.di verlangen. Selbst der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach hat die Forderung aufgegriffen, da jede manuelle Buchführung anfällig für Manipulationen bei den Stunden ist.

Die Geldmaschine

"Wir kommen früher zur Arbeit, verzichten auf unsere Pause, gehen später nach Hause und lassen uns während dieser Zeit bis an die Schmerzgrenze zu Höchstleistungen hetzen", beschreibt genau eine Woche vor dem Jubiläum eine langjährige Aldi-Verkäuferin ihren Arbeitsalltag. Die stereotype Antwort des Discounters auf solche Vorwürfe lautet stets: Alles Einzelfälle. Dabei gibt es viele Zeugenaussagen, in denen eidesstattlich versichert wird, dass in Aldi-Filialen systematisch Arbeitsstunden unter den Tisch fallen. Die vom Arbeitgeber gern hervorgehobene übertarifliche Bezahlung ist nicht das Papier wert, auf dem sie notiert ist. Nur für ihn, den Arbeitgeber, scheint sie sich zu rechnen.

Mit einer Umsatzrendite von 3,3 bis vier Prozent lassen Aldi Nord und Aldi Süd die Konkurrenz ein ganzes Stück hinter sich. 2011 betrug der Gewinn 772 Millionen Euro. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Die Familienclans der Gründer sind laut manager-magazin steinreich. Tag für Tag kommen knapp vier Millionen Euro hinzu. Die Nr. 1 der Lebensmittel-Discounter erweist sich als wahre Geldmaschine für die Eigentümer. Für ihre 50.000 Angestellten allein in Deutschland und die Beschäftigten in den Zulieferfabriken lässt sich das nicht sagen.

Und zu 100 Jahren Aldi gehört auch das: "Ich kenne kein Unternehmen, das so hartnäckig Betriebsräte verhindert wie Aldi Süd", sagt ver.di-Mann Orhan Akman aus München, der mehrere solcher Fälle bezeugen kann. Bei Aldi Nord wiederum sind Betriebsräte oft Anfeindungen ausgesetzt. Das aktuellste Beispiel stammt aus der Niederlassung Schwelm in Nordrhein-Westfalen, wo über eine Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung zur Ausbildung in den 60 Filialen zustande gekommen ist. Sie geht auf eine Initiative des Betriebsrats zurück und soll die Ausbildungsqualität bei Aldi wesentlich verbessern. So wird die Kassentätigkeit für Azubis, die künftig in Wechselschicht eingesetzt werden, auf acht Stunden pro Woche begrenzt. Dafür wird die Warenkunde ausgebaut.

Billige Arbeitskraft Azubi

"Wir sind der Meinung, dass ein Azubi bei Aldi so ausgebildet werden muss, dass er in seinem Beruf später auch bei einem Vollsortimenter wie Rewe anfangen könnte", sagt der Betriebsratsvorsitzende Oliver Ebert. Die Vereinbarung habe Vorbildwirkung und darauf könne Aldi stolz sein. "Es kann ja nicht sein, dass der Azubi bei Aldi drei Jahre lang als billige Arbeitskraft zwischen Kasse und Palette hin und her rast", sagt Stefan Najda, ver.di-Jugendsekretär für den Handel.

Die Geschäftsführung in Schwelm sieht das anders und nennt die neuen Regelungen "praxisfremd". Man werde nicht mehr ausbilden. Mehrfach wurde eine Gruppe Filialleiter aktiv, die den Betriebsrat zu einem Rückzieher drängen will. Vor Ostern kursierte ein Flugblatt mit persönlichen Angriffen auf Oliver Ebert. Es scheint, als ob derselbe Film von Zeit zu Zeit wiederholt wird. Schon vor sieben Jahren verteilte Aldi an seine Führungskräfte eine Art Strategiepapier von Aldi-Anwalt Emil Huber. Das Papier beschrieb, wie man Stimmung schürt, um die ver.di-Mehrheit im Betriebsrat zu kippen. Doch Ebert und sein Gremium sind auch heute noch immer für die Beschäftigten da.

Aldi, die Superreichen

100 Milliarden Euro Privatvermögen besitzen die zehn reichsten Familien, die in Deutschland große Einzelhandelsfirmen beherrschen. Nach Berechnungen vom manager magazin für 2012 entfallen davon allein

33,2 Milliarden Euro auf die beiden Albrecht-Familien (Aldi Nord und Süd). Im Jahre 1991 waren es "erst" 4,08 Milliarden. Das bedeutet, dass die Familien Albrecht seither

jeden Tag um knapp vier Millionen Euro reicher geworden sind. Auch die Brenninkmeijers (C&A) stehen mit 21,5 Milliarden Euro ganz vorn. Die drei Eigentümer des Metro-Konzerns (Kaufhof, Media-Markt, Saturn, real,-) kommen auf 12,1 Milliarden Euro, dicht gefolgt von Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland) mit zwölf Milliarden Euro. Die Familie Otto (Otto Group, Hermes, ECE-Einkaufscenter) verfügt über 8,2 Milliarden Euro Privatvermögen. aha