Ausgabe 03/2013
Auf halbem Wege stehen geblieben
Georg Schäfer
Leben wir vielleicht noch zu Kaiser Wilhelms Zeiten? Das fragt sich manchmal Georg Schäfer, Vorsitzender Richter am Hessischen Landesarbeitsgericht in Frankfurt. Denn nach seiner Meinung und der des ver.di-Fachausschusses Richter/innen und Staatsanwält/innen bleibt Deutschland deutlich unter dem Niveau anderer europäischer Staaten, was die interne Verfassung der Justiz anbelangt. Alle schätzen das Prinzip der Gewaltenteilung, also der unabhängigen Rechtsprechung. Aber nach Schäfers Meinung ist dieses Prinzip in Deutschland nicht zu Ende geführt, weil im Inneren die Selbstverwaltung fehlt.
"Es kann nicht angehen, dass an der Spitze der Justizverwaltung - also der unabhängigen Dritten Gewalt - mit dem Justizminister ein Mitglied der Regierung - also der Zweiten Gewalt, der Exekutive - steht", sagt Schäfer. Die Verwaltung entscheide über personelle, organisatorische, Ausbildungs- und Haushaltsangelegenheiten der Gerichte und der Justiz insgesamt. Schäfer will ihr gar nicht absprechen, dass sie das Beste anstrebt. Aber Unabhängigkeit bedeute eben, dass Richter und auch Staatsanwälte ihren Arbeitsbereich selbst regeln, dass sie sich nicht auf das Ministerium verlassen müssen. Die Organisation der Justiz im Inneren wie im Verhältnis zu den anderen Staatsgewalten hat jedoch nach Auffassung von ver.di nicht mit der Entwicklung zum gewalten- geteilten, demokratischen Rechtsstaat Schritt gehalten.
In den Forderungen sind sich die gewerkschaftlich organisierten Richter/innen und Staatsanwält/innen mit den beiden anderen allgemeinen Richterorganisationen in Deutschland (Deutscher Richterbund und Neue Richtervereinigung) einig. Ein Dorn im Auge ist ihnen auch die hierarchische Struktur und das entsprechende Besoldungssystem.
In fast allen anderen europäischen Ländern entscheiden über personelle, organisatorische, Ausbildungs- und Haushaltsfragen - nach den Vorgaben des jeweiligen Gesetzgebers - Selbstverwaltungsorgane der Justiz. Die Struktur des Bundesverfassungsgerichts könnte da ein Beispiel sein für die anderen Bereiche der Justiz. Bausteine eines Modells der Zukunft: Auf Landesebene sowie für die Bundesgerichte werden Gerichtsbarkeitsräte eingerichtet, die aus richterlichen und nichtrichterlichen Mitgliedern bestehen. Die richterlichen Mitglieder bilden die Mehrheit. Sie werden in Urwahl nach dem Verhältniswahlsystem durch die Richterinnen und Richter aller Gerichtsbarkeiten mit gleichem Stimmrecht bestimmt. Es müssen ferner die Belange jeder Gerichtsbarkeit durch die Zusammensetzung und/oder Vetorechte gewährleistet werden. Als nichtrichterliche Mitglieder wählt das Parlament Abgeordnete oder andere Personen, die die gesellschaftliche Pluralität repräsentieren. Georg Schäfer wünscht sich, dass diese Anliegen stärker an die Öffentlichkeit dringen. reb