Zwischen Slum und Golfplatz

Mohsin Hamid: So wirst du stinkreich im boomenden Asien | Vorhang auf für einen der interessantesten Autoren seiner Generation: Mohsin Hamid, 41, schreibt nur alle sechs Jahre einen Roman - aber diese Bücher haben es in sich. Das dritte Werk des Pakistaners überwindet die Grenzen aller Genres: So wirst du stinkreich im boomenden Asien ist die Geschichte vom Aufstieg eines armen Jungen aus der Provinz zum Großunternehmer. Eine Wirtschaftssatire, eine Liebesgeschichte, ein Selbsthilfebuch, alles in einem.

Über die Heimat seines Helden schreibt Hamid: "Die Leute deines Dorfes erleichtern sich etwas weiter flussabwärts von der Stelle, wo sie ihre Kleider waschen, die wiederum flussabwärts von der Stelle liegt, wo sie trinken. Die Dörfer vor dem deinem, weiter flussaufwärts, machen es genauso." Kein Wunder, dass der Junge schnell weg will. Hamid ermuntert ihn und betitelt jedes Kapitel mit einem Tipp: Zieh in die Stadt, verschaff dir Bildung, scheue nicht vor Gewalt zurück, freunde dich mit einem Bürokraten an, jongliere mit Schulden, denk an ein Ausstiegsszenario. Das tut der Junge, der inzwischen ein Mann ist und in verschiedenen Jobs erfahren hat, wie wichtig Kontakte und Korruption sind. Er steigt ins Geschäft mit Trinkwasser ein, betrügt, besticht, expandiert und wird tatsächlich stinkreich. Er heiratet, bekommt einen Sohn, zieht in eine Villa. Der Unternehmer möchte seiner Herkunft entfliehen und hat auf dem Höhepunkt seines Wohlstands doch nur genauso wenig Zeit für seinen Sohn wie seine hart arbeitenden Eltern früher für ihn. Und die Frau, die er wirklich liebte, verliert er aus den Augen.

Wenn Mohsin Hamid von diesem Leben zwischen Slum und Golfplatz erzählt, von Größenwahn und Gier, von Vetternwirtschaft und Globalisierung, dann stockt seinen Lesern der Atem. Hamid ist ein Verbalzauberer, der frech und ironisch formuliert. Aber auch liebevoll und weise. Sein Roman wirkt wie eine neue Version von Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral. In dieser Erzählung von 1963 diskutieren ein Fischer und ein Tourist über Umsatzsteigerung und Lebensqualität. Böll brauchte nur wenige Seiten, um zum Nachdenken anzuregen. Auch Hamid fasst sich kurz: Ihm reichen 225 Seiten, um seinen komplexen Plot zu vermitteln und auf höchstem Niveau zu unterhalten. Besser kann ein moderner Gesellschaftsroman nicht sein. Günter Keil

DuMont Verlag, Übers.: Eike Schönfeld, 225 Seiten, 18,99 €


Carsten Kluth: Wenn das Land still ist | Ein Tag im Leben des Richters Kronauer. Er beginnt um vier Uhr früh. Schlaflose kennen diese unsägliche Stunde, wenn das Land still ist wie sonst nie. Keine gute Zeit, um Entscheidungen zu treffen, im tiefsten Dunkel der Nacht. 24 Stunden später endet die Erzählung - nach einem Tag, der alles verändert hat. Rückblenden berichten davon, wie Kronauer in den Sog der Politik geraten ist und eine Karriere in der konservativen Partei gestartet hat, mit Aussicht auf einen Platz im Bundestag. Angezogen und verführt von einer attrak-tiven Frau, enttäuscht von einer frustrierenden Ehe, zerrissen in der Verantwortung für seine drei Kinder. Er engagiert sich für die Klima- und Flüchtlingspolitik und gerät unter den Einfluss windiger Geschäftemacher, die mit Climate Engineering und Rain-on-Demand die Welt retten und ihre eigenen Interessen sichern wollen. Doch dann gerät alles aus dem Ruder. Ein dramatischer Tag, privat wie politisch, der Kronauer die Entscheidung abfordert, wie er mit Anstand weitermachen kann. Mitten in der dunkelsten Stunde der Nacht. Tina Spessert

Piper, 2013, 382 Seiten, 19,99 €


Miltiadis Oulios: Blackbox Abschiebung | Dieses Buch fragt nach dem Sinn und der Berechtigung von Abschiebung in einer Welt der doch erwünschten Mobilität. Der Autor Miltiadis Oulios wendet sich jenen Menschen zu, denen das Recht, den eigenen Ort zu bestimmen, verweigert wird. Sie treten hervor durch "Geschichten und Bilder von Menschen, die gern geblieben wären" - so der Untertitel. Der Öffentlichkeit soll die Praxis der Abschiebung möglichst verborgen bleiben, und in diese "Blackbox" will das Buch Licht bringen, mit Fotos von Flüchtlingen, ihren Erzählungen von dem, was ihnen widerfuhr, oder durch das Gedenken an diejenigen, die sich angesichts einer bevorstehenden Abschiebung das Leben nahmen. Das geschieht nicht selten in der Abschiebehaft, in der Flüchtlinge wie Kriminelle behandelt werden, nur weil sie sich da aufhalten, wo sie sich nicht aufhalten sollen. Das Buch plädiert angesichts der Unmenschlichkeit der Abschiebepraxis für ein allgemeines Bürgerrecht auf Migration. Bettina Klix

Suhrkamp, Berlin, 2013, 483 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 20 €


Elisabeth Türk/Ulf G. Stuberger: Die Gerichtsmedizinerin | Mord, Unfall, ärztlicher Kunstfehler oder doch ein natürlicher Tod? Anders als meist im Krimi liefern die Medizinerin Elisabeth Türk und der Justizjournalist Ulf G. Stuberger einen realistischen Einblick in die Arbeit der Rechtsmedizin. Auch für medizinische Laien ist das sehr verständlich geschrieben. Obwohl das Buch nicht auf Grusel, Reißerisches und morbide Eindrücke ausgelegt ist, liest es sich spannend wie ein Krimi. Der Leser erlebt die Spurensuche der Rechtsmedizin als facettenreiche Jagd nach Details, am Leichenfundort genauso wie im Obduktionssaal. Gekonnt setzt Türk Themenschwerpunkte wie Zähne, Wasserleichen, Knochenfunde und DNA-Spuren. Das Buch ist eine Fundgrube für Neugierige, die in echten Fällen stöbern möchten, aber auch ein Lehrstück für Krimi- und Thriller-Autoren, die wissen wollen, wie es wirklich in der Rechtsmedizin zugeht, was Blutspuren verraten, wie Todes-ursachen geklärt werden und wie die Rechtsmediziner unbekannte Opfer identifizieren. Marion Oppermann

Rowohlt TB, 256 Seiten, 8,99 €