Europa ja, aber anders, sagen die Gewerkschaften. Sozial soll es werden und vor allem anders, als es sich die noch amtierende Bundeskanzlerin vorstellt

Wenn der Kuchen spricht, müssen die Krümel schweigen. Nie hat dieser Satz so gut auf Angela Merkel, CDU, gepasst wie in diesem Bundestagswahlkampf. Wirbt die CDU doch in ihren zehn Gründen, warum man die amtierende Bundeskanzlerin und ihre Partei wählen sollte, unter anderem damit, dass Angela Merkel vom Backofen übers Kanzlerpult bis nach Brüssel alles in der Hand hat und genau abwägt, selbst die Streusel auf dem Kuchen für ihren Mann. Wenn die Kanzlerin backt, beziehungsweise regiert, dann kann sich der Rest bestenfalls über Brosamen freuen. Widerworte unerwünscht.

Auf der großen politischen Bühne wird das besonders deutlich an Merkels Europapolitik. Zunächst hat sie der Europäischen Union eine Haushaltsdisziplin aufgedrängt, die vor allem in den südeuropäischen Ländern viele Menschen in die Arbeitslosigkeit und Armut gestürzt hat. Und selbst Deutschlands vermeintlich starker Nachbar Frankreich gerät unter dem Haushaltsdruck der Europäischen Union gehörig ins Straucheln. Gleichzeitig hat sich die Bundeskanzlerin für eine Kürzung des EU-Haushaltes stark gemacht. Mit der Folge, dass die von ihr viel gepriesenen sechs Milliarden Euro aus Deutschland für die abgehängte Jugend Südeuropas überhaupt nicht zur Verfügung stehen. Die Ausgaben der EU müssen ja gekürzt werden. Ein soziales Europa sieht wahrlich anders aus.

Doch an einem Europa für alle mit gleichwertigen Lebensbedingungen und Chancen hat Angela Merkel kein Interesse. Bereits seit dem vergangenen Jahr treibt sie die europäischen Mitgliedsstaaten vor sich her, einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit zu schließen. Nach außen wird das den Bürgerinnen und Bürgern der EU als eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion verkauft. Tatsächlich verbirgt sich hinter Merkels Pakt nichts anderes als eine extreme Deregulierung der Arbeitsmärkte in Europa, kurzum: Die Löhne sollen bis zum Anschlag gespreizt werden können, Tarifvertragssysteme der einzelnen Länder hin oder her. Dafür sollen die einzelnen Länder individuelle Verträge mit der EU abschließen, in denen sie sich zu entsprechenden Maßnahmen am Arbeitsmarkt verpflichten. Bei Einhaltung aller Vorgaben, winkt ihnen die volle Unterstützung der EU. Die Nichteinhaltung zieht bittere Strafen nach sich. Merkels Ankündigung, dass bei all dem natürlich die Arbeitsmärkte überwacht werden müssten und der soziale Dialog gestärkt werden müsse, bleiben da nichts als leere Worthülsen.

ver.di und die europäischen Gewerkschaften lehnen deshalb Merkels Pläne ganz entschieden ab. Aus ihrer Sicht ist ein anderes Europa möglich. Sie sprechen sich für eine gemeinsame Lohn-, Sozial- und Steuerpolitik aus, koordiniert auf EU-Ebene. Nur so ließen sich die großen, Europa gefährdenden Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen der Mitgliedsstaaten überwinden. Parallel brauche Europa eine gemeinsame Strategie für qualitatives Wachstum und Beschäftigung, was auch ein gemeinsames europäisches Schuldenmanagement einschließe.

Erst nach der Bundestagswahl wird in Brüssel über Merkels Pakt weiter verhandelt und abgestimmt. Wer dann den Kuchen in der Hand hat und anschneidet, ist noch nicht ausgemacht. Petra Welzel