Dieter Spetzke, 54, Verwaltungsangestellter bei der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg

Die Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland leben immer länger und beziehen demnach auch länger ihre Rente. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl meldete Bild Mitte August einen "neuen Rekord": Innerhalb eines Jahres sei die durchschnittliche Bezugsdauer um mehr als sechs Monate auf 19 Jahre gestiegen, berichtet die Straßenzeitung unter Berufung auf die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Seit 1995 habe sich die Bezugsdauer damit um mehr als drei Jahre verlängert. Damals wurden Renten im Schnitt 15,8 Jahre lang gezahlt.

Arbeitnehmer/innen und Rentner/innen haben also Grund zur Freude, die allerdings getrübt wird durch den Umstand, dass die Höhe der Renten nach den Reformen der letzten Jahre tendenziell kräftig sinkt und für immer mehr Betroffene kaum noch zum Leben reicht. Jüngstes Beispiel: Den Anstieg der gesetzlichen Altersbezüge zum 1. Juli dieses Jahres in Westdeutschland um 0,25 Prozent haben viele eher als Provokation empfunden.

Vor dem Hintergrund einer offiziellen Preissteigerungsrate von knapp zwei Prozent war die minimale Anhebung der Zahlbeträge in der Tat eine Rentenkürzung. Und das in einer Situation, in der nach vielen Jahren die Realeinkommen der Arbeitnehmer/innen, denen die Renten in ihrer Entwicklung eigentlich folgen sollen, erstmals wieder geringfügig gestiegen waren. Die reale Absenkung war eben Folge von allerlei Kürzungsfaktoren (Riester-Faktor, Beitragssatz-Faktor, Nachhaltigkeitsfaktor etc.).

Die neueste Verlängerung der Rentenbezugsdauer dürfte aber Wasser auf die Mühlen derjenigen in Politik, Wirtschaft und Medien sein, die die tendenziell dauerhafte Kürzung der gesetzlichen Renten mit hohem Propagandaaufwand durchgepeitscht haben: Unternehmerverbände, die Parteien der Agenda-2010-Koalition (also SPD, Grüne, Union und FDP) und die an einer weitgehenden Privatisierung der Altersvorsorge kommerziell interessierte Finanz- und Versicherungswirtschaft.

Ihre naive Argumentation: Es könnten nicht immer weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte immer mehr und immer älter werdende Rentner/innen immer länger "durchfüttern". Deshalb müsse die gesetzliche Rente gekürzt, das Renteneintrittsalter erhöht (was auf eine zusätzliche Kürzung hinausläuft) und die "private" Vorsorge - mit staatlicher Förderung - ausgebaut werden. Wer nicht wolle, dass die von Beschäftigten und Unternehmen aufzubringenden Versicherungsbeiträge ins Unermessliche stiegen, habe zu all dem keine Alternative.

Haben wir sehr wohl, sagen hingegen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften. Sie haben ein sorgsam durchgerechnetes Rentenfinanzkonzept vorgelegt. Dessen wichtigste Eckpfeiler sind ein Stopp der Senkungen des Beitragssatzes, stattdessen der Aufbau einer stattlichen Rücklage zur Stabilisierung des Rentenniveaus sowie flexible Übergänge in die Rente statt der Rente mit 67.

Das jüngst aktualisierte DGB-Rentenmodell zeige, so erläutert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, dass eine Sicherung der Renten trotz der Beitragssatzsenkung von 19,6 auf 18,9 Prozent möglich sei. Sie ist sicher: "Unser Konzept eröffnet große Spielräume, ohne dass der Rentenbeitrag stärker erhöht werden muss, als es die Bundesregierung ohnehin plant. Entscheidend ist, dass im nächsten Jahr damit begonnen wird, eine Demografie-Rücklage aufzubauen. Wird der Rentenbeitrag aber erst im Jahre 2019 angehoben, wenn die heutigen Reserven aufgebraucht sind, werden drastische Beitragserhöhungen notwendig."

Der DGB bleibt deshalb bei seinem Grundsatz der moderaten Erhöhungen, um die Belastungen in kleinen Schritten über die Jahre zu verteilen, Planungssicherheit zu schaffen und die Lücken auf diese Weise auszugleichen. Erforderlich ist dazu laut DGB eine jährliche Anhebung des Rentenbeitrags um 0,3 Prozentpunkte bis zum Jahr 2019. Das bedeutet für Durchschnittsverdiener und Arbeitgeber eine jährliche Belastung von 4,05 Euro pro Monat. Ab 2020 könnte die jährliche Demografie-Anpassung auf 0,2 Prozentpunkte abgeschmol- zen werden. Annelie Buntenbach weist darauf hin, auch neue Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund zeigten, dass das Rentenniveau dadurch auf lange Sicht weitgehend stabilisiert und die Erwerbsminderungsrente deutlich aufgebessert werden könnten. Dennoch blieben im Jahr 2030 noch hohe Rücklagen, so dass auch die Rente mit 67 sogar auf lange Sicht ausgesetzt werden könnte.