Ausgabe 05/2013
Löhne light gibt's nicht
Hofgarten Düsseldorf: Auch wer streikt, muss mal pausieren
Man mag es glauben oder nicht: Die Kaufhäuser hatten früher Lift-Personal, und das wurde nach Einzelhandelstarif entlohnt. Im Handelsverband HDE sind "Fahrstuhlführer" oder auch "Kaltmamsell" deswegen zu Kampfbegriffen geworden. Das hat mehrere Gründe: Die angestaubten Berufe tauchen weiter in den Tarifverträgen auf. Und alle Welt soll denken, dass ver.di an überkommenen Dingen festhält, während die Arbeitgeber nur die Modernisierung im Sinn haben. Ein durchsichtiges Manöver.
In der konfliktreichen Tarifrunde des Einzelhandels haben sich seit April schon weit über 100.000 Beschäftigte an Streiks beteiligt. Sie wollen eine bessere Bezahlung ihrer Arbeit und die sofortige Wiedereinsetzung der Manteltarifverträge ohne Abstriche - in den meisten Bundesländern fordert ver.di 6,5 Prozent oder 140 Euro beziehungsweise einen Euro pro Stunde mehr.
Eins nach dem anderen
Die Situation erschien lange ausweglos, weil die Arbeitgeber auf die ganz harte Tour gesetzt haben. Sie erklärten neue Billiglohngruppen unter anderem für Kassieren und Regalbestückung sowie generell hochflexible Arbeitszeitregelungen zur Vorbedingung für 2,5 Prozent plus in diesem Jahr und 1,5 Prozent plus im nächsten. Doch die ver.di-Tarifkommissionen hielten an ihrer Position fest: Über den Manteltarifvertrag und die Entgeltstrukturen wird in dieser Tarifrunde auf keinen Fall verhandelt. Modernisierungsgespräche, ja gern. Aber eins nach dem anderen.
Wie ernst es ist, machte ver.di durch fortgesetzte Arbeitsniederlegungen selbst in der Hauptferienzeit deutlich. Und das zeigt Wirkung. So informierte der Metro-Konzern in seinem Finanzbericht für das erste Halbjahr, dass die Streiks in den SB-Warenhäusern von real,- sowie bei Galeria Kaufhof das wirtschaftliche Ergebnis (EBIT) beeinträchtigt haben. "Trotz des massiven Einsatzes von Leiharbeitskräften, Aushilfen und zwangsversetzen Führungskräften", kommentiert ver.di dieses Eingeständnis. Bei den beiden Metro-Töchtern waren zur selben Zeit weitere Arbeitskämpfe in Vorbereitung. Zu den bisherigen Höhepunkten in Nordrhein-Westfalen gehört ein landesweiter Ausstand mit rund 2000 Streikenden an 50 real,-Standorten.
Sehr viele Aktivitäten sind auch bei Kaufland, dem unmittelbaren Konkurrenten von real,- im Bereich der großen SB-Filialen, zu verzeichnen. An einer Kundgebung vor der Zentrale in Neckar-sulm beteiligten sich Ende Juni rund 1500 Streikende aus Baden-Württemberg und weiteren Bundesländern. Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger kündigte dort für ver.di an, künftig noch stärker gegen Firmen vorzugehen, die aus der Tarifbindung flüchten. "Die Arbeitgeber des Handels planen die Durchsetzung von Armutslöhnen", warnte der baden-württembergische Streik- und Verhandlungsführer Bernhard Franke. Doch dagegen wehren sich immer mehr Beschäftigte. Viele Händler haben inzwischen freiwillige Erhöhungen von 2,5 Prozent veranlasst, um der Tarifbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch dafür ist das Konfliktpotenzial zu groß.
Schon jetzt sind Niedriglöhne im Einzelhandel weit verbreitet. Nach Auskunft der Bundesregierung bekommen 34 Prozent der Beschäftigten in Geschäften mit zehn Leuten und mehr einen Brutto-Stundenverdienst unter zehn Euro. Rund 21 Prozent erhalten weniger als 8,50 Euro. 300 000 Einzelhandelsbeschäftigte werden sogar mit weniger als fünf Euro pro Stunde abgespeist. Rund 150 000 müssen ihr Arbeitseinkommen mit Hartz IV aufstocken.
Skandalös niedrige Stundenlöhne
Diese schockierende Zahl hält der Handelsverband HDE für "sehr gering". ver.di sieht das komplett anders. "Auch mit Blick auf die vielen Werkvertragskräfte, die zu skandalös niedrigen Stundensätzen eingesetzt werden, befürworten wir einen gesetzlichen Mindestlohn", so Tarifexperte Rüdiger Wolff. "Gleichzeitig wollen wir die Tarifbindung stärken und eine echte Reform der Tarifverträge aushandeln. Unmittelbar nach der jetzigen Tarifrunde kann's losgehen." Eine Entgeltstruktur light zu Lasten der Beschäftigten werde es unter keinen Umständen geben.
Um die Tarifsituation zu entkrampfen und Lösungswege aufzuzeigen, hat ver.di ab Ende Juli zunächst in Bayern, kurz darauf in Hamburg und weiteren Regionen spezielle Tarifverträge vorgeschlagen: Beide Seiten vereinbaren verbindlich einen Prozess, um eine neue Entgeltstruktur zu verhandeln und unter der Überschrift "Demografische Entwicklung" auch tarifliche Arbeitszeitnormen zu überarbeiten. Dabei sollen auch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Gesundheitsförderung und Qualifizierung berücksichtigt werden.
So oder so ist seit der ersten August-Hälfte wieder Bewegung angesagt: Die Arbeitgeber des Einzelhandels und ihr Verband haben die Option, gemeinsam mit ver.di die Flächentarifverträge zu stabilisieren oder sich auf einen heißen Spätsommer einzustellen