Jürgen Bothner (links) unterwegs mit Kollegen der Müllabfuhr

HESSEN | Die einen fallen ins Sommerloch, die anderen bewegen sich. So der hessische ver.di-Landesleiter Jürgen Bothner auf seiner Rundreise zu Betrieben der öffentlichen Daseinsvorsorge. Er startete mit einer Schicht bei der Frankfurter Hausmüllentsorgung. Die mittelschwere Tour bedeutete: Antreten um sechs Uhr, Anprobe der Arbeitskleidung, Einweisung in die Tätigkeit. Und dann rauf auf den Bock, knapp 21 Kilometer laufen, viele hundert Treppenstufen steigen und Müllbehälter ziehen, schieben, anheben. Gut 25 Tonnen an diesem Vormittag.

Bothners Fazit nach einer halben Schicht: "Das ist körperliche Schwerstarbeit. Den Kollegen gilt mein größter Respekt. Sie verrichten diese Arbeit, die für uns alle wichtig ist, und müssen sich manchmal auch noch beschimpfen lassen, wenn sie Autofahrern im Weg stehen mit ihrem Müll-Lkw." In der kommenden Tarifrunde, so Bothner, müssen die Einkommensbedingungen der Müllwerker dringend verbessert werden: "Diese gesellschaftlich notwendige Arbeit muss uns etwas wert sein."

Das Leitmotiv "öffentliche Daseinsvorsorge" hatte Jürgen Bothner für seine Sommertour in diesem Jahr der Landtagswahl bewusst gewählt. Denn es geht um Dienstleistungen für die Allgemeinheit, die allen Bürgerinnen und Bürgern Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Politiker/innen gestalten die Bedingungen für die öffentlichen Dienstleistungen finanziell und bezüglich der allgemeinen Ausstattung. "Das müssen wir uns alle bewusst machen, bevor wir am 22. September in die Wahlkabine marschieren und unsere Kreuzchen machen", so Bothner.

Der zweite Tag der Sommertour stand im Zeichen betrieblicher Gespräche. Zunächst nahm Jürgen Bothner in Gießen an einer Sitzung des Betriebsrats der Universitätskliniken Gießen und Marburg, UKGM, teil. Aktueller Diskussionspunkt: die Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft für Hochschulmedizin, nach der die Privatisierung des UKGM gescheitert ist. In der Diskussion bekräftigte Bothner, dass ver.di das Gesundheitswesen lieber in öffentlicher statt in privater Verantwortung sieht. "Wir messen die Parteien daran, ob sie genügend Geld zur Verfügung stellen. Das gilt sowohl für die Ausstattung der Gebäude als auch für die Beschäftigten." Beim Thema Personalbemessung fordert ver.di deshalb einen gesetzlich fest- gelegten Mindeststandard. Bothner: "Gesundheit ist keine Ware und darf es nicht sein."

Bothners zweite Station an diesem Tag war ein Besuch beim Personalrat des Hessischen Rundfunks. Dort ließ er sich die hochmodernen neuen Hörfunkstudios zeigen, die der "hr" kürzlich angeschafft hat. Anschließend wurden betriebliche Themen diskutiert.

Der Mann mit der Glatze

Der letzte Tag der Sommertour führte den ver.di-Landesleiter in die Kasseler Kindertagesstätte Ahnabreite. Dort waren alle ziemlich aufgeregt. Die Kinder begrüßten an diesem Tag die Jahres-Neuzugänge. Viel Geschrei, viel Lachen. Als "der Mann mit der Glatze" eine Geschichte vorlas, wurde es still. Im anschließenden Gespräch mit den Erzieher/innen kamen schnell die wunden Punkte zur Sprache: mangelnde Anerkennung und Wertschätzung. Das drückt sich auch in der niedrigen Bezahlung aus. Die Personalschlüssel sind außerdem so gefasst, als lasse sich die Arbeit mit Kindern eben mal so nebenbei machen.

Kein Wunder, dass immer weniger Menschen im Erzieher/innenberuf arbeiten wollen. Zwar beginnen viele mit der Ausbildung, aber bereits nach dem ersten Berufsjahr brechen sie ab. Die Leitungen der Einrichtungen klagen dann über Personalmangel. Bothner: "Hier ist es entscheidend, dass Politik nicht nur Sonntagsreden über die Bedeutung und Wichtigkeit von qualifizierter Kinderbetreuung hält, sondern dass diesen Worten auch energische Taten folgen." Sein Fazit am Ende der Woche: "Wir müssen lernen, wieder einen Blick für das Selbstverständliche zu haben, um es auch wertschätzen zu können."