Europäische Union und USA planen ein Freihandelsabkommen

WOLFGANG UELLEN-BERG-VAN DAWEN leitet bei ver.di den Bereich Politik und Planung

Seit Adam Smith im 18. Jahrhundert den freien Welthandel als Quelle des Wohlstandes der Nationen ausgemacht hat, begleiten vollmundige Prognosen über Wachstum und Beschäftigung jedes Abkommen, mit dem Zölle abgebaut und Märkte liberalisiert werden sollen. So auch bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Europäischer Union und den USA. Von einer Million zusätzlicher Arbeitsplätze jenseits und fast einer dreiviertel Million diesseits des Atlantiks schwärmten diverse Medien und riefen das Abkommen zum Konjunkturprogramm für Europa aus. Die Belege dafür blieben sie schuldig. Drei Themen, die verhandelt werden, sind besonders brisant. Zum einen soll dieses Abkommen den höchstmöglichen Schutz von Investoren vor staatlichen Eingriffen verankern: Jenseits aller nationalen und europäischen Rechtssetzung sollen Unternehmen gegen Staaten klagen können, wenn sie sich etwa durch den Ausstieg aus gefährlichen Technologien wie der Kernenergie, durch Umweltvorschriften oder durch Enteignungen im Interesse des Allgemeinwohls benachteiligt sehen. Das zuständige Gericht soll in Washington sitzen.

Zum zweiten soll die öffentliche Beschaffung in den USA und in Europa für alle Unternehmen in dem riesigen Handelsraum geöffnet werden: Von der Kommune bis hin zur europäischen Ebene sollen künftig - von hoheitlichen Dienstleistungen wie Polizei und Justiz abgesehen - Güter, Dienstleistungen oder Dienstleistungssysteme im Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben werden. Von der Errichtung öffentlicher Gebäude bis hin zum Betreiben von Bildungseinrichtungen, vom Nah- und Fernverkehr über Ver- und Entsorgung bis zur Gesundheitsversorgung müssen die Beschaffungsaufträge "diskriminierungsfrei", wie es heißt, vergeben werden. Dienstleistungsunternehmen in öffentlicher Hand, staatliche Hochschulen, selbst die Wasserversorgung und die Häfen und Flughäfen könnten so dem schrankenlosen Wettbewerb mit privaten Anbietern unterworfen werden. "Privat vor Staat" heißt die Devise, und davon profitieren weniger der Handwerker oder private Busbetreiber als vielmehr große Konzerne diesseits und jenseits des Atlantiks.

Liberalisiert werden sollen zum Dritten vor allem die Dienstleistungen selbst. Auf der Agenda stehen die Liberalisierung der Finanzmärkte, sodass eine europäische Finanztransaktionssteuer als Handelshemmnis bekämpft werden könnte, die Gesundheitsdienstleistungen und vor allem die Dienstleistungen rund um die Informations- und Kommunikationstechnologien. Der Fantasie, welche Dienstleistungen betroffen sein könnten, sind freilich keine Grenzen gesetzt. Denn alle Dienstleistungen, die nicht ausdrücklich ausgenommen werden, sollen künftig dem freien Wettbewerb ausgeliefert werden. Über den Umweg des Freihandelsabkommens könnten so in Europa mühsam errichtete Barrieren gegen die unbegrenzte Marktfreiheit auf den Dienstleistungsmärkten wieder eingerissen werden.

Was kann getan werden? Transparenz und Aufklärung an erster Stelle: Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen, in zwei Jahren sollen Ergebnisse vorliegen. Ebenso wichtig ist die öffentliche Debatte: Ob die gentechnisch veränderte Tomate oder das Chlorhähnchen aus den USA importiert werden sollen und ob sich die deutsche Pharmaindustrie den strengen US-Regeln unterwerfen soll, sind fassbare Themen. Welche Folgen es aber haben kann, wenn sich auf dem Umweg über das Freihandelsabkommen europaweit der Grundsatz "Privat vor Staat" durchsetzt, muss noch viel konkreter buchstabiert werden. Gepackt werden müssen US-Regierung und EU-Kommission an ihrem Anspruch, die höchstmöglichen sozialen und ökologischen Standards zu verankern. Mindestlöhne, Höchstarbeitszeiten, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung, kein Lohn- und Sozialdumping durch Entsendung ins Ausland - all diese Ziele, für die Gewerkschaften aktuell in Europa kämpfen, müssen wir gemeinsam mit den US-Gewerkschaften durchsetzen. Und ebenso wichtig: Da, wo im Interesse des Gemeinwohls öffentliche Daseinsvorsorge gesichert und ausgebaut werden muss, überall da müssen die Kommunen, die Länder und die Mitgliedsstaaten dieses Recht auch behalten. Das Europäische Parlament und der US-Kongress müssen am Ende dem Abkommen zustimmen. Wir müssen ihnen mit vielen Bündnispartnern in Politik, Wissenschaft und in der Gesellschaft deutlich machen: Entfesselte Märkte bringen Wohlstand und Profit für einige Wenige - für die Gesellschaft, die Umwelt und das Gemeinwesen aber das Gegenteil, nämlich enorme Kosten und soziale Verwerfungen.

Mühsam errichtete Barrieren gegen die unbegrenzte Marktfreiheit könnten wieder eingerissen werden