Ausgabe 07/2013
Privatisierung im Eilverfahren
Demonstration der Postler/innen und der Gewerkschaft CWU gegen den Verkauf der Royal Mail
Mehr als 70.000 Menschen demonstrierten Ende September im sonnigen Manchester, um gegen die geplante Privatisierung des staatlichen Gesundheitssystems NHS in Großbritannien zu protestieren. Anlass war der Parteitag der konservativen Regierungspartei, der zur selben Zeit in der Stadt begann. Zum Protest aufgerufen hatte der britische Gewerkschaftsbund TUC. Die örtliche Polizei bezeichnete die Demonstration als die größte in der Geschichte der Stadt. Sie war ein wichtiges Lebenszeichen und bewies: Die Opposition gegen den Spar- und Privatisierungskurs der Regierung ist alles andere als tot.
Royal Mail geht im Schnellverfahren an die Börse
Dass die Regierung sich um die Ablehnung ihrer Politik in breiten Bevölkerungsschichten jedoch nicht schert, hat sie im Oktober mit der Privatisierung von Royal Mail, der britischen Post, bewiesen. Royal Mail war der älteste staatliche Dienstleister Großbritanniens mit einer fünfhundertjährigen Tradition. Doch damit ist nun Schluss. Die Privatisierung wurde im Schnellverfahren durchgezogen. So schnell, dass die Kommunikationsgewerkschaft CWU keine legalen Kampfmaßnahmen ihrer Mitglieder mehr dagegen organisieren konnte. Denn seit der Thatcher-Regierung sind die Gewerkschaften in Großbritannien drakonischen Gesetzen unterworfen, die sie in langwierige und komplizierte Urabstimmungsverfahren zwingen, bevor überhaupt ein Streik geplant werden kann.
70 Prozent aller Briten waren gegen die Privatisierung, fast alle Postler (96 Prozent) ebenfalls. Dennoch wurde die Post am 11. Oktober auf den Markt geworfen. Knapp 690.000 Menschen kauften Postaktien, innerhalb weniger Stunden stieg der Wert der Aktien um 35 Prozent. In der Londoner City knallten die Sektkorken.
Seitdem gibt es eine heftige Diskussion im Land, ob die Regierung die Royal Mail für zu wenig Geld verramscht hat. Finanzminister George Osborne widerspricht dem Vorwurf. Die Regierung habe die bestmögliche Beratung, unter anderem von Banken, in Anspruch genommen. Die Privatisierung sei ein Erfolg. Goldman Sachs und die Barclays Bank bekamen vom Staat 24 Millionen Pfund als Gegenleistung für ihre Beratertätigkeit.
Gerade diese Privatisierungsberatung durch Großbanken betrachten Kritiker als folgenschweren Coup. Sie befürchten, dass die Börse absichtlich für einen niedrigen Aktienpreis gesorgt hat, damit Anleger umso höhere Gewinne einfahren konnten. Dafür spricht auch, dass der Staat die mit Schulden im Wert von 48 Milliarden Pfund belastete Rentenkasse der Royal Mail in seinem Besitz behält, während die profitablen Teile des Postunternehmens privatisiert wurden. Aus der Rentenkasse sollen die Beschäftigten ihre Altersversorgung bekommen. Die Gewerkschaft CWU rechnet nun mit Rentenkürzungen.
Ein langwieriger Konflikt
Das Management der Royal Mail hat einen Personalabbau als Folge der Privatisierung fest eingeplant. Bislang hat die britische Post die tägliche Auslieferung der Briefe an sechs Tagen pro Woche überall auf der Insel garantiert. Die Regierung möchte das beibehalten, die Gewerkschaft CWU ist jedoch skeptisch, ob das tatsächlich gelingen wird.
Schon am Tag der Privatisierung organisierte die Gewerkschaft Proteste in Depots und vor der Londoner Börse, der nächste Streik war für den 4. November geplant. "Wir haben zwar den Kampf gegen die Privatisierung verloren, einen Kampf, den wir sehr lange geführt haben," sagte Dave Ward, der Zuständige für die Beschäftigten der Post im CWU-Vorstand. "Doch jetzt beginnt der Kampf um die Erhaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen. Wir wollen einen Vertrag, der garantiert, dass bei Royal-Mail nicht die gleichen Zustände einreißen wie bei anderen kommerziellen Anbietern. Wir wollen eine Spaltung der Belegschaft in den alten Kern mit guten Verträgen und Neueinsteiger mit schlechten Bedingungen verhindern."
Deshalb fordert die CWU von der Royal Mail-Führung Garantien mit zehn Jahren Laufzeit. Die Gegenseite ist aber nur zu drei Jahren bereit. Die Gewerkschaft weiß, dass sie einen langen Konflikt vor sich hat. Eine neue Urabstimmung ist in Vorbereitung. Es geht darum, die Beförderung von Post durch Fremdanbieter zu boykottieren.