Massenarbeitslosigkeit und abermals rigide Kürzungen infolge der EU-Sparvorgaben. 14 Gewerkschafter/innen aus Deutschland waren auf einer Solidaritätsreise in Athen

Doris Heinemann-Brooks ist stellvertretende Personalratsvorsitzende der Hamburger Hafenverwaltung

ver.di PUBLIK | Du warst mit einer Gruppe Gewerkschafter/innen in Griechenland. Wie hast Du die Situation dort erlebt?

Doris Heinemann-Brooks | Wir wurden sehr herzlich empfangen. Sei es bei den Streiks gegen die Sparpakete oder bei unseren Besuchen in Betrieben und sozialen Einrichtungen. An vielen Orten war die Stimmung von Wut und Trauer über den Mord an dem antifaschistischen Rapper Pavlos Fissas geprägt. Er war drei Tage vor unserer Ankunft von einem Mitglied der faschistischen Partei "Goldene Morgenröte" erstochen worden. Viele unserer Gesprächspartner betonten, dass die offene Gewalt der Partei sich schon lange gegen Flüchtlinge richtet. Der Staat sei aber bisher kaum eingeschritten. Viele hoffen, dass es damit jetzt vorbei ist.

ver.di PUBLIK | Mit welchen Auswirkungen der Sparpakete sind die Beschäftigten in Griechenland aktuell konfrontiert?

Heinemann-Brooks | Die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurden infolge der harten Sparauflagen der Troika (EU-Kommission, EU-Zentralbank und Internationaler Währungsfonds, d. Red.) mehrfach gekürzt, ein Ende ist nicht abzusehen. Bis zum Jahresende werden 15.000 Beschäftigte in die sogenannte Reserve versetzt. Damit erhalten sie für die Dauer von acht Monaten nur noch 75 Prozent ihres ohnehin schon stark gekürzten Grundgehalts. Wenn sie es in dieser Zeit nicht schaffen, eine neue Beschäftigung im öffentlichen Dienst zu finden, sind sie danach arbeitslos, ohne jede Absicherung und ohne Einkommen. Auch Lehrer sollen im Zuge der Schließung von öffentlichen Schulen zwangsversetzt werden, gleichzeitig boomen die Privatschulen - für die, die es sich leisten können. Zum Zeitpunkt unserer Reise wussten die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer noch nicht, ob ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben.

ver.di PUBLIK | Zuletzt waren die Proteste zurückgegangen, gehen jetzt wieder mehr Menschen gegen diese Entscheidungen auf die Straße?

Heinemann-Brooks | An den Streiks gegen die sozialen Verwüstungen nehmen wieder mehr Menschen teil. Obwohl uns viele sagten, dass sie es sich nicht leisten können, die Arbeit niederzulegen, da die Kassen der Gewerkschaften leer sind und es kein Streikgeld gibt. Zu neuem Selbstbewusstsein der Beschäftigten hat auch der Protest gegen die Schließung des öffentlichen Rundfunks beigetragen. Während der Sender von den Beschäftigten besetzt wurde, kam es fast zum Bruch der Regierungskoalition wegen der Entscheidung, den Sendebetrieb einzustellen.

ver.di PUBLIK | Was hat Dich in der Woche in Athen besonders beeindruckt?

Heinemann-Brooks | Als Beschäftigte im Hamburger Hafen hat mich besonders der Niedergang des Hafenviertels Perama getroffen. Durch den Zusammenbruch der Werftindustrie und die Privatisierung des Hafens ist die Arbeitslosigkeit auf 90 Prozent hochgeschnellt, in vielen Familien gibt es kaum noch jemanden, der bezahlte Arbeit hat. Gleichzeitig entsteht nicht nur hier, sondern überall im Land Neues: nachbarschaftliche Anlaufstellen, solidarische Gesundheitszentren und Verteilstationen für Lebensmittel, die den Zusammenbruch der sozialen Strukturen verhindern. Mich hat beeindruckt, wie kreativ sich die Menschen der Zerstörung ihrer Lebensbedingungen entgegenstemmen. Diese Solidaritätsnetzwerke müssen wir als Gewerkschafter/innen stärker unterstützen.

Interview: Romin Khan

Spendenkonto und Tagebuch der Reisegruppe: http://bit.ly/19wer0g

"Mich hat beeindruckt, wie kreativ sich die Menschen der Zerstörung ihrer Lebensbedingungen entgegenstemmen"