FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, 25. NOVEMBER 2013

Keine Sorge, Weihnachten ist nicht in Gefahr. Die Kinder werden ihre Geschenke pünktlich bekommen. Denn man muss sie ja nicht bei dem Onlinehändler Amazon kaufen. Auch hat die Gewerkschaft Verdi niemals damit gedroht, Kindern das Weihnachtsfest ruinieren zu wollen. Insofern hat der Vertriebschef von Amazon mit der Bemerkung, man werde sich nicht von jemandem erpressen lassen, der damit drohe, das Weihnachtsfest für Kinder zu ruinieren, daneben gegriffen. [...] Nicht nur die deutschen Kunden bestellen trotz aller Diskussionen über Arbeitsbedingungen und Entlohnung weiter kräftig bei Amazon. Viele der traditionellen Einzelhändler in Stadt und Land hingegen sind so schlecht wie eh und je. Wie antwortete erst am Samstag die Verkäuferin im Spielzeugfachhandel von Vedes auf die Frage nach einer Lieferzeit? "Höchstens zwei Wochen." Amazon schafft das nach einem Tag, ob mit oder ohne Streik. Und die Konkurrenz muss endlich aufwachen, sonst wird Weihnachten ein Fest - für Amazon.


Der Geist ist ganz aus der Flasche

NEUE WESTFÄLISCHE BIELEFELD, 5. DEZEMBER 2013

Die Mitglieder der SPD mögen noch grübeln, zagen und zaudern, ob sie dem Vertrag zur großen Koalition zustimmen werden. Bei den Gewerkschaftsspitzen hingegen stellt sich diese Frage nicht mehr. Ganz im Gegenteil: [...] Frank Bsirske sieht nun ein Jahrzehnt der Entsicherung zu Ende gehen. Die Kräfteverhältnisse hätten sich geändert, so Bsirske. 2003 habe er erstmals in einem Interview den Mindestlohn gefordert und prophezeit, der Geist ist aus der Flasche. Dass es so lange gedauert hat, bis der Einstieg in den Mindestlohn Realität wird, führt bei den Gewerkschaftsvertretern keineswegs zu Depressionen. Sie wissen aus der täglichen Erfahrung, dass der Fortschritt eine Schnecke und nur durch Kompromisse zu erreichen ist.


verdi schafft die Wende

BERLINER TAGESSPIEGEL, 5. DEZEMBER 2013

Frank Bsirske hat es nicht leicht. Seit 2001 führt er die Mammutgewerkschaft Verdi, die sich damals aus fünf kleineren Gewerkschaften bildete und rund 1000 Berufe umfasst. Ein bunter Haufen, der schwer zu steuern ist und Fliehkräfte entfaltet. Das lässt sich auch an Zahlen ablesen. Vor zwölf Jahren war Verdi mit 2,8 Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft, heute sind es noch 2,06 Millionen, die IG Metall hat 200.000 mehr. Umso schöner für Bsirske, nun endlich die Trendwende melden zu können. Zwar gibt es auch in diesem Jahr wieder Schwund: 129.300 Mitglieder treten aus, doch gleichzeitig gibt es 131.000 Eintritte.


Im Arbeitskampfmodus

Stuttgarter Zeitung, 6. DEZEMBER 2013

Verdi hat ein sattes Lohnplus erreicht, zudem wird der Manteltarifvertrag ohne Änderungen wieder in Kraft gesetzt. Die Arbeitgeber müssen ihrerseits keine neuen Streiks im wichtigen Weihnachtsgeschäft befürchten. [...] Die Vorstellungen der Tarifparteien über die Anpassung der Tarifverträge an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts gehen allerdings meilenweit auseinander. So reicht bereits die kurze Frage nach dem Zeitplan, um die ermüdeten Verhandlungsführer sofort wieder in den Arbeitskampfmodus zu versetzen: Merten nennt es ein "ambitioniertes Ziel", bis zum Ende der Laufzeit des neuen Lohn- und Gehaltstarifvertrages im März 2015 eine Einigung zu erreichen. Verdi-Funktionär Franke räumt zwar ein, dass die überalterten Tarifstrukturen entstaubt gehörten, warnt aber die Arbeitgeberseite sogleich davor, dies als Gelegenheit zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Abwertung von Tätigkeiten auf breiter Front zu nutzen. Hat da irgendjemand ruhige Zeiten für den Einzelhandel heraufziehen sehen?