Ausgabe 02/2014
Ein Bekenntnis zum Streikrecht
Henrik Müller ist Redakteur der ver.di publik
Stell' Dir vor: Die Gewerkschaften protestieren gegen einen Gesetzesvorschlag, mit dem eine Einschränkung des Streikrechts verbunden ist, und tatsächlich folgen die zuständigen Abgeordneten mit 508 Stimmen von Sozialdemokraten, Konservativen, Linken und Grünen gegen 149 Stimmen diesem Protest. Gibt's nicht? Gibt's doch - so geschehen am 26. Februar 2014 zu Straßburg im Europäischen Parlament. Im Zusammenhang mit dem sogenannten 4. Eisenbahn-Paket und der, wie es wörtlich heißt, "effektiven Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste" hatte die Liberaldemokratische Fraktion beantragt, die EU-Staaten sollten zwar einerseits "einen angemessenen sozialen Schutz für die Mitarbeiter von Betreibern öffentlicher Dienste" sicherstellen müssen, andererseits aber auch "ein Mindestleistungsniveau während Streiks im öffentlichen Verkehr" garantieren. ver.di hatte die Abgeordneten aufgefordert, diesen Vorschlag abzulehnen; er ziele direkt auf die Gewerkschaften und ihr Grundrecht auf Arbeitskampf und verletze internationale Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO.
Die Abstimmung vom 26. Februar und damit das klare Bekenntnis des EU-Parlaments zum Streikrecht dürfte einer von vielen Belegen dafür sein, dass stimmt, was Karsten Peters vom deutschen "attac"-Koordinierungskreis aktuell im Theorieblog des politischen Netzwerks (http://theorieblog.attac.de) schreibt: "Das Europäische Parlament ist besser als sein Ruf." Und es sei "der einzige demokratisch legitimierte Akteur auf europäischer Ebene und an vielen Stellen der deutlich progressivere Akteur verglichen mit dem EU-Rat und nationalen Parlamenten". Am 25. Mai ist reichlich Gelegenheit, diesem Akteur an der Wahlurne den Rücken zu stärken.
In Straßburg am Oberrhein residiert übrigens eine weitere Institution, die sich nicht so im Neoliberalismus suhlt wie die meisten europäischen Einrichtungen in Brüssel: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der immer mal wieder durch Eigenständigkeit und Unabhängigkeit auffällt, beispielsweise mit seiner Betonung des Rechts auf Kollektivverhandlungen und des Streikrechts auch für verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer.
Noch ist Europa also nicht verloren!