Schöner Schein mit deutlichem Knick: die Amazon-Welt

Rheinland-Pfalz-Saarland - Claudia* ist von Anfang an in Koblenz dabei. Zum Jahresende 2012 suchte sie einen neuen Job. Warum nicht zu Amazon gehen? Das fragten sich einige in der Region. In der Arbeitsagentur waren ganze Stockwerke für die Vermittlung reserviert. Viele kamen ähnlich wie Claudia aus freien Stücken, andere wurden von der Arbeitsagentur aufgefordert, sich zu bewerben, mehr oder weniger nachdrücklich. Ein gerade ausgebildeter Zahntechniker** wurde mit Sanktionen bedroht, falls er sich nicht bewerbe. Eine Aufstockerin** mit einem festen Teilzeitjob bei der Post wurde aufgefordert, diesen Job zu schmeißen und sich bei Amazon um eine auf vier Wochen befristete Stelle zu bewerben.

Aktuell sind 1 700 Menschen bei Amazon am Standort Koblenz beschäftigt, letztes Jahr Weihnachten waren es 4 100. Davon sind nur 1 200 fest angestellt. Das Amazon-System arbeitet in Abstufungen: unbefristet, Ketten-Befristungen, Saisonkräfte, Leiharbeitnehmer/innen. Nach welchen Kriterien wer wie weiterbeschäftigt wird oder von einer Gruppe in die nächste aufsteigt, ist den Beschäftigten ein Rätsel.

Es hänge von der "Performance" ab, sagen Führungskräfte, also von der Leistung. Claudia* kann das nicht bestätigen. Sie und ihre Kollegen haben schon viele "Top-Performer" erlebt, die es nicht geschafft haben. In der Sprache des Planetensystems Amazon ist das ein "ramp-down", was nicht viel besser klingt als der damit gemeinte Rausschmiss.

Überhaupt spielen Amerikanismen im System Amazon eine große Rolle, und "amazonisch" dringt in die Umgangssprache außerhalb der Arbeit ein. "Pick" ist die Kommissionierung, "Pack" ist die Verpackung, "Ship" die Verladung. Morgens "badged" man sich mit dem Betriebsausweis an der Zeiterfassung ein, und jeden Morgen gibt es ein "startmeeting", unter den Beschäftigten auch Morgenandacht genannt.

Eine Andacht am Morgen

Wenn Claudia* gefragt wird, wie sie ihren Arbeitgeber sieht, lächelt sie etwas schief und erzählt von einem Gespräch, das sie zufällig mitgehört hat. Ein Kollege fragte den anderen: "Bin ich Pick, bin ich Pack oder bin ich Fuck?" Allerdings sagt sie auch, dass die meisten Beschäftigten schon schlimmere Jobs hatten, und auch sie habe vorher weniger verdient. Warum sie sich trotzdem in ver.di engagiert? Sie will, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird. Sie will unter nachvollziehbaren objektiven Bedingungen arbeiten.

Arbeiten bei Amazon ist ein Knochenjob. Picker zum Beispiel haben in ihrer täglichen Arbeit durch ein Gebiet in der Größe von vier Fußballfeldern zu laufen. Da kommen 15 bis 20 Kilometer am Tag zusammen. Es herrscht ständig Zeitdruck, der sich in den letzten 18 Monaten sogar verschlimmert hat. Früher wurde sie nach zehn Minuten ohne erkennbare Bewegung auf ihrem Handscanner zu einem Gespräch mit dem "Lead", dem Abteilungsleiter, gebeten, heute schon nach fünf Minuten. Menschen werden bis zum letzten Tag im Ungewissen gelassen, ob sie im Anschluss an die Befristung weiterbeschäftigt werden.

Claudia* hält mehr Geld für angemessen. Mindestens genauso wichtig ist ihr, dass sich der Lohn nicht nach undurchsichtigen Regeln des Amazon-Planetensystems richtet, sondern nach verbindlichen Tarifverträgen, die so objektiv wie möglich ihre Arbeit honorieren. "Ich will mitbestimmen", sagt sie.

Jürgen Dehnert


Glatter Knieschuss

Von Pickerin Claudia*

Um uns zu Bestleistungen anzuspornen, hat sich das Management in Koblenz `was Besonderes einfallen lassen: die Power-Hour. Startzeichen für die Kraft-Stunde sind eine Nachricht auf dem Handscanner und gleichzeitig, sozusagen als Erkennungsmelodie, das Lied "Hells Bells" von der Hardrock-Band AC/DC. Einige Beschäftigte legen dann offensichtlich einen Zahn zu und geben alles.

Andere lässt das Spektakel kalt. Sie machen schnell Platz wenn ein hochmotivierter Picker vorbeihuschen will. Die Appelle an "Quality" und die "Safety-Tipps", also die Sicherheitshinweise aus den Start-Meetings, spielen jetzt bei der Arbeit offensichtlich keine Rolle mehr.

Bei der Power-Hour kann nur einer gewinnen, und die größte Anstrengung nützt nichts, wenn die zu pickenden Gegenstände ungünstig verteilt sind. Der Preis ist aber auch nicht wirklich heiß. Es gibt weder Kilometergeld noch eine Geldprämie. Der Gewinner kriegt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Power-Hour-Champion". Ich hab mir schon überlegt, mir ein T-Shirt zu drucken mit der Aufschrift "Power-Hour-Loser".

Das dicke Ende folgt dann beim nächsten Startmeeting: Die guten Zahlen der Power-Hour, so die Führungskraft, sollten doch auch während der gesamten Schicht möglich sein. Ein glatter Knieschuss.

Name wurde geändert

** Personen sind der Redaktion bekannt