Manchmal muss man für einen Tarifvertrag abtauchen

von Heike Stuckmann

Nordrheinwestfalen - Etwas verschlafen, zwischen Äckern und Wiesen, liegt Werne, ein westfälisches Städtchen im Kreis Unna. Es ist klein, hat aber eine große Attraktion: 1874 wurde in Werne eine Solewasserquelle entdeckt, und es wurde der Grundstein für das heutige Natur-Solebad gelegt. Das ist überregional bekannt für seine heilende Wirkung bei Hautkrankheiten und Rheuma und das ganze Jahr Anziehungspunkt für auswärtige Besucher/innen. Die knapp 30 000 Bürgerinnen und Bürger von Werne sind stolz auf ihr Bad. Aber in diesen Tagen ist es ausgerechnet das Natur-Solebad, das die Bevölkerung spaltet. Denn seit dem 18. März wird es von rund der Hälfte der 75 Beschäftigten bestreikt. "Heute wegen ver.di-Streik geschlossen" ist inzwischen permanent auf der Internetseite des Bades zu lesen.

200 bis 700 Euro weniger als andere Kolleg/innen

Der Grund: Die Beschäftigten werden nicht nach Tarif bezahlt, obwohl das Bad zu 100 Prozent der Stadt gehört. "Ein Skandal" finden die einen, denn sämtliche städtische Bäder im Umkreis zahlen Tariflöhne. Konkret heißt das: Der Bademeister im elf Kilometer entfernten Lippebad bekommt brutto 2 600 Euro monatlich, der in Werne lediglich 1 900 Euro. Ob Saunaleiterin, Hausmeister, Koch im dazugehörigen Restaurant oder Kassiererin - hier in Werne verdienen die Beschäftigten 200 bis 700 Euro im Monat weniger als ihre Kolleg/innen in den Nachbarbädern. Und das macht die Beschäftigten wütend.

Der Großteil der Bevölkerung zeigt sich solidarisch. Doch es gibt auch sol-che, die keinerlei Verständnis haben. Der Bürgermeister von Werne, Lothar Christ (parteilos), und die Geschäftsleitung des Solebads verharren in ihrer Position, es sei einfach kein Geld da, und verweigern jedes Gespräch mit den Streikenden.

Aber wie ist es überhaupt möglich, dass ein städtisches Unternehmen keine Tariflöhne zahlt? Bis 2007 galt auch in Werne automatisch der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, da der Arbeitgeber im Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) war - eine Selbstverständlichkeit für ein öffentliches Unterneh- men. Doch 2007 griff man im Rathaus zu einem Trick: Man gründete die Natur-Solebad GmbH und sourcte das Management an die Dr. Quell Aquapark GmbH aus. So konnte die Stadt aus dem Arbeitgeberverband austreten und musste keine Tariflöhne mehr zahlen. Die Beschäftigten hatten keine Wahl: Mitmachen oder Arbeitsplatz verlieren.

Beschäftigte, Betriebsrat und ver.di wiesen die Politik immer wieder auf die massiven Fehlentwicklungen und die Rechtsbrüche im Bad hin. Der Dr. Quell Aquapark GmbH wurde daraufhin der Vertrag nicht verlängert, das Management übernahm nun wieder die Stadt. Die Hoffnung auf eine Besserung der Verhältnisse blieb jedoch unerfüllt. Immer noch arbeiten 50 Beschäftigte vollständig ohne Tarifvertrag, davon 24 als Minijobber. 26 Mitarbeiter/innen haben lediglich einen befristeten Vertrag, einige sind gezwungen, trotz Vollzeitstelle mit 40 Stunden in der Woche, Aufstockungsleistungen bei der Arbeitsagentur zu beantragen. Das ist nichts, worauf man in Werne stolz sein kann.

Westfälisch stur bleiben

Bäder bringen keinen Gewinn und die Kassen der Kommunen sind leer. Aber um wie viel Geld geht es eigentlich? Der Geschäftsführung liegt ein durchgerechneter Überleitungstarifvertrag von ver.di vor: Würde er ab dem 1. Juni dieses Jahres in Kraft treten, würde das die Stadt für die zweite Jahreshälfte 60 000 Euro kosten. Für 2015 müssten 110 000 Euro aufgebracht werden.

Hinsichtlich der angeblichen Geldknappheit fragen sich die Beschäftigten: Vielleicht hätte die Stadt dem Geschäftsführer der Natur-Solebad GmbH im vergangenen Jahr doch keinen schicken Dienstwagen zur Verfügung stellen sollen? Vielleicht könnte man von den 15 Millionen, die nun für den Neubau des Hallenbads zur Verfügung stehen, ein bisschen für die gerechtere Bezahlung der Beschäftigten zur Verfügung stellen?

Eine weitere Möglichkeit, die ersten 60 000 Euro zu decken, wäre die Erhöhung des Eintrittsgeldes um 15 Cent. Doch Bürgermeister Lothar Christ ignoriert das Anliegen der Beschäftigten. Die sind enttäuscht, aber - typisch westfälisch - auch stur. An Aufgeben denken sie nicht. Sie wollen weiterkämpfen, bis ein "wasserfester Tarifvertrag" steht.


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