Ausgabe 05/2014
Im Verbund gesund
Gespräch und Zuwendung bleiben oft auf der Strecke
Das System der Krankenhausfinanzierung ist nicht gesund, da sind sich Annegret Kern-Schwahn, Pflegedirektorin im Knappschaftsklinikum Sulzbach, und Betriebsratsmitglied Roman Schmidt einig. "Jahr für Jahr wird die Verweildauer der Patienten gekürzt. Um unsere Kosten tragen zu können, müssen mehr Patienten aufgenommen werden. Das Ergebnis ist eine stetige Arbeitsverdichtung", kritisiert Annegret Kern-Schwahn. Der Betriebsrat formuliert es schärfer: "Es ist ein Skandal. Gesundheit wird zur Ware. Der Fokus richtet sich auf das wirtschaftliche Überleben der Kliniken weg vom Wohl der Patientinnen und Patienten."
Vor zehn Jahren wurden nach langen Diskussionen und mehreren Zwischenstufen die Fallpauschalen in deutschen Krankenhäusern eingeführt. Bis dahin gab es einen tageweisen Pflegesatz. Wie lange der Patient oder die Patientin im Krankenhaus behandelt wurde, entschieden die Ärzte. Das versuchte die Politik zu deckeln. Heute erhalten die Krankenhäuser eine Bezahlung, die sich nach der jeweiligen Erkrankung richtet. Für jede Erkrankung werden Vorgaben über die Verweildauer der Patienten gemacht. Bleibt der Patient länger, geht das auf Kosten des Krankenhauses. Also setzen die Kliniken alles daran, die Vorgaben einzuhalten. Annegret Kern-Schwahn: "Wir haben heute einen ganz engen Takt: Einlieferung, Eingriff, Entlassung. Zuwendung und Gespräch bleiben dabei auf der Strecke."
Mit Standards Wird der Wettbewerb angeheizt
Für Roman Schmidt ist das System, wie die Vorgaben zustande kommen, fragwürdig. Eine Reihe von sogenannten Kalkulationshäusern liefert die Grundlagen für die Standards, die für alle Kliniken gelten. Diese Standards werden ständig angepasst und führen regelmäßig zu Verkürzungen der Verweildauer. "Damit wird der Wettbewerb angeheizt. Das Ergebnis: Wir haben in den letzten zwei Jahren über tausend Fälle mehr im Haus gehabt, trotzdem kamen wir mit Ach und Krach auf unsere Kosten."
Betriebsrat Roman Schmidt
Roman Schmidt bezweifelt als gelernter Finanzer die Wirtschaftlichkeit des Systems für das Gesundheitswesen insgesamt. So werden allein in Sulzbach zur notwendigen Erfassung und Verschlüsselung der erbrachten Leistungen sieben Codierkräfte benötigt. Hochgerechnet auf die 23 Krankenhäuser im Saarland sind das weit über 100 Planstellen, die nicht für die Versorgung der Patienten zu Verfügung stehen. Zusätzlich werden Pflegekräfte und Ärzte zu einem immer größeren Anteil durch Dokumentation und Nachbereitung von ihren eigentlichen Aufgaben abgehalten.
Eine mögliche Reaktion wäre die verstärkte Zusammenarbeit und die Spezialsierung der einzelnen Kliniken, die oft nur wenige Kilometer auseinanderliegen. Aber genau das passiert nicht. Alle 23 Krankenhäuser im Saarland bieten das komplette Angebot. Um auf die Kosten zu kommen, wird kein Fall abgewiesen. Stattdessen wird nach individuellen Einsparmöglichkeiten gesucht, wie die Ausgliederung von Leistungen oder die Verlagerung von Tätigkeiten in niedrigere Entgeltgruppen. "Das System setzt falsche Anreize", kritisiert Roman Schmidt.
ver.di fordert mehr demokratische Kontrolle
Die Konkurrenz ist für die Pflegedirektorin Annegret Kern-Schwahn logisch. Hinter 23 Krankhäusern stehen 23 Geschäftsführungen, 23 Aufsichts- und Verwaltungsräte, Kreistage, Stadträte, die alle für ihr Krankenhaus kämpfen. ver.di setzt dagegen auf die Idee des Verbundkrankenhauses Saar. Kontrolliert werden soll es von einem Aufsichtsrat, in dem Anteilseigner, Krankenkassen, Belegschaftsvertreter und Gewerkschaften ebenso vertreten sind wie Berufsverbände, Arbeitskammer und die im Saarbrücker Landtag vertretenen Parteien. "Wir brauchen eine demokratische Kontrolle durch die Beschäftigten und die Gesellschaft ebenso wie eine wirksame Mitbestimmung des Betriebsrats auf allen Ebenen", sagt Thomas Müller, Geschäftsführer der ver.di-Region Saar Trier.
Annegret Kern-Schwahn
Die Reaktionen auf diesen Vorschlag sind gemischt. Erwartungsgemäß war auch von Sozialismus die Rede. Aber Minister und Arbeitgeber gerieten in Argumentationsnot bei der Frage, warum sie den Plan ablehnen. Fachleute wie der Münchener Professor Wulf Dietrich vom Verein der demokratischen Ärztinnen und Ärzte unterstützen das Model. Nur so könne man angesichts der roten Zahlen vieler Krankenhäuser mögliche Übernahmepläne profitorientierter privater Betreiber verhindern.