Der Rapper Kurdo über Kalaschnikows im Schrank, seine zweite Heimat Emmertsgrund - und warum er nichts Falsches sagen will

ver.di publik - Kurdo, Dein Album Slumdog Millionär ist in den Albumcharts auf Platz 6 hochgeschossen. Wie bist Du aufs Rappen gekommen?

KURDO - Im Emmertsgrund, in Heidelberg, woher ich komme. Da gab es mehrere Undergroundbands. In einem Jugendclub gab es einen Musikraum mit einem Mikrofon und einem Computer. Da habe ich Beats ausprobiert und aufgenommen. Wir haben uns dort immer in eine Liste eingetragen und dann für eine halbe Stunde Musik gemacht und gerappt. Meine Texte hab ich immer alleine geschrieben.

ver.di publik - Sind es persönliche Erfahrungen, von denen Deine Texte handeln?

KURDO - Meine Texte handeln von dem, was ich erlebt habe, und auch davon, was ich um mich herum sehe. Ich gebe das, was ich sehe, mit meinen eigenen Worten wieder. Ich will nichts Falsches sagen. Ich sehe Dinge und Ereignisse, die andere Menschen so nicht sehen und in die sie keinen Einblick haben. Ich sehe mich selbst als Zeitzeugen.

ver.di publik - Welche Musiker haben Dich inspiriert?

KURDO - Früher kannte ich nur Michael Jackson. Mein Bruder hat aus dem Jugendzentrum Musik nach Hause mitgebracht. Der erste Rapper, den er mir gezeigt hat, war Eko Fresh. Azad fand ich auch gut, der hat die gleichen Wurzeln wie ich. In einem Interview hat er einmal gesagt: Mir geht es jetzt besser. Ich glaube, das war auch ein Grund für mich, mit der Musik anzufangen.

ver.di publik - Du bist über Youtube 2011 bekannt geworden. Wie war das damals, haben Dir Freunde dabei geholfen?

KURDO - Damals habe ich gerade mit meinem Freund Atilla Musik gemacht. Er ist mit 18 Jahren leider bei einem Autounfall gestorben. Dann hatte ich keine Lust mehr. Habe zwei bis drei Jahre erst einmal nichts mehr geschrieben, aber natürlich habe ich die Rapszene weiterhin verfolgt. Irgendwann meinten Freunde: Lasst uns einen Track für Atilla machen. Das war auch die stärkste Zeit von Youtube, mit AGGRO TV und dem ganzen. Damals habe ich vier bis fünf Tracks gemacht und dann haben plötzlich 20 000 Leute meinen Track angehört. Das war damals eigentlich nicht normal für einen Underground-Rapper. Ich habe dann einen Videoclip mit den Jungs von Automatikk aus Nürnberg gemacht. Und so fing das an, dass darüber geredet wurde, dass wir einen eigenen Stil haben.

ver.di publik - Du drehst Deine Videos in Deiner alltäglichen Umgebung, mit Plattenbauten.

KURDO - Die Videos zeigen Emmertsgrund, meine Umgebung, da wohne ich. Ich versuche authentisch zu sein. Das ist mir am allerwichtigsten. Für mich zählt auch nicht, ob jemand sagt: Das ist cool oder das ist nicht cool. Ich zeige mich so, wie ich bin, so, wie ich spreche.

ver.di publik - Du bist mit acht Jahren als Flüchtling aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Wie war das?

KURDO - Mein Vater war schon vorher in Heidelberg und hat sich um vieles gekümmert. Wir sind um zwei Uhr morgens angekommen und konnten uns nach der langen Fahrt nicht gleich bei der Polizei stellen. Wir waren zu fünft, meine Schwester war noch nicht auf der Welt. Wir haben zwei Tage bei meinem Papa in einem Zimmer übernachtet, nebendran war eine Polizeistation, daran kann ich mich erinnern. Meine Mutter wurde dann von der Polizei befragt, warum wir geflüchtet sind und warum nach Deutschland? Wir waren Kinder und mussten, Gott sei Dank, keine Fragen beantworten. Wir wurden dann nach Offenburg geschickt. In ein Asylcamp mit fünf großen Häuserblocks und einer Mensa, wo alle immer zusammen gegessen haben. Dort haben wir eineinhalb Jahre gewohnt.

ver.di publik - Aus welchen Ländern kamen die anderen Flüchtlinge dort?

KURDO - Die meisten waren aus Sri Lanka, aber es gab auch Albaner, Iraner, Syrier und Araber. Mit manchen konnte ich mich auf Arabisch unterhalten, ich habe bis zur zweiten Klasse im Irak Arabisch gelernt.

ver.di publik - Gab es im Flüchtlingsheim eine Schule, in der Du Deutsch lernen konntest?

KURDO - Für die Älteren gab es Kurse, für die Jugendlichen nicht. Aber es gab Malkurse oder Arbeitsgruppen für die Kinder.

ver.di publik - Wie hast Du Deutsch gelernt?

KURDO - Das Asylcamp war in Offenburg und mein Vater in Heidelberg. Wir durften nicht einfach raus, vor allem nicht mehr als 100 Kilometer weit weg. Nur am Wochenende durften wir meinen Papa besuchen. Der hat uns Kindern das ABC beigebracht. In der Schule gab es morgens eine Stunde vor Unterrichtsbeginn Förderunterricht. Man hat uns die Sprache mit Bildern beigebracht.

ver.di publik - Hast Du Dich in der Schule eigentlich als Flüchtling oder als Fremder gefühlt?

KURDO - Ich war in der Realschule in Heidelberg fremd, auf jeden Fall. Zum einen haben mich die Leute nicht verstanden, und zum anderen habe ich die Leute genauso wenig verstanden. Ich hatte einen persischen Freund an der Schule, der schwarze Haare hatte und nicht wie die anderen gut gekleidet war. Wir spielten Fußball und verbrachten die Pausen zusammen. Wir waren uns ähnlich.

ver.di publik - Deine Texte erinnern manchmal an Gangsterrap, mit fetten Autos und Typen, die Geldscheine in Zigarettenschachteln haben.

KURDO - Ich zeige in meinen Videos eine Unterwelt. Wenn jetzt, sagen wir mal, Pro7 eine Reportage in so einer Unterwelt macht, kriegen die das nicht wirklich zu sehen. Denn die Leute dort wollen das nicht zeigen. Ich zeige es mit Schauspielern, die diese Kreise kennen. Die spielen das Eins zu Eins nach. Ich nehme eine Kalaschnikow auch nicht in eine Hand, sondern in zwei Hände und ich weiß, wie man damit umgehen muss.

ver.di publik - Deine Erfahrungen mit der Kalaschnikow, hast Du die aus dem kriegsgebeutelten Irak?

KURDO - Ich bin mit Waffen aufgewachsen. Mein Papa war immer bewaffnet, weil er seine Familie beschützen musste. Das hat jeder im Irak gemacht. Sadam Husseins Regierung hat mit den Leuten, den Schiiten vor allem, angestellt, was sie wollten. Wir hatten einen Wandschrank, der voller Waffen war. Da gab es Kalaschnikows, Pistolen, auch Handgranaten. Als ich wegen Bronchitis einmal im Krankenhaus war, besuchte mich mein Onkel und schenkte mir eine Plastikpistole. Darüber habe ich mich gefreut. Ich weiß nicht wieso, und ich weiß, dass es eigentlich nicht menschlich ist, Waffen zu haben - egal, ob aus Plastik oder nicht. Aber statt einem Plastikauto hat man uns im Irak Plastikwaffen geschenkt.

ver.di publik - Hast du Angehörige im Irakkrieg verloren?

KURDO - Nein, Gott sei Dank nicht.

ver.di publik - Flüchtlinge haben hier in Deutschland oft mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Wie nimmst Du das wahr?

KURDO - Ich glaube, die ein, zwei Polizisten im Asylheim, die damals unsere Fingerabdrücke abgenommen haben, waren einfach nur genervt. Sie mussten alles zehnmal wiederholen, weil die Flüchtlinge kaum etwas verstanden. Ich glaube nicht, dass es Rassismus ist. Rassismus habe ich, ehrlich gesagt, in 17 Jahren sehr wenig gesehen. Ich muss dazu auch sagen, dass ein Flüchtling sich gar nicht traut, sich daneben zu benehmen, weil er einfach viel zu viel Angst davor hat, wieder abgeschoben zu werden.

ver.di publik - Hattest Du selbst Angst abgeschoben zu werden?

KURDO - Klar. Meine Eltern haben mir immer wieder gesagt: Halte dich aus Schlägereien heraus, klau nicht, wir werden dann abgeschoben. Aber manchmal macht man trotzdem etwas falsch oder man schlittert als Jugendlicher in die falsche Clique.

ver.di publik - Du stellst private Fotos von Dir bei Facebook rein.

KURDO - Ja, ich zeige gerne mein Privatleben, natürlich kein Big Brother. Da bedanke ich mich eher bei meiner Tante für ihr zubereitetes Essen. Sie kennt Facebook nicht, weiß nicht mal, was Facebook ist. Aber mir geht es darum, dass die Leute wissen, dass ich mich für das Essen bedanke. Ich weiß, dass das, was ich esse, auch 10 000 andere essen. Ich will mich nicht über diese Leuten stellen. Ich will gleich sein.

ver.di publik - Wie sehen Deine Zukunftspläne als Rapper aus?

KURDO - Ich möchte musikalischer werden und den Leuten etwas Neues bieten. Die Texte werden sich thematisch ändern. Nächstes Jahr will ich zwei Alben herausbringen, die zeigen, dass ich mich weiterentwickelt habe, mit Musikern, mit denen ich zusammenarbeite. Mehr will ich aber jetzt noch nicht sagen.

ver.di publik - Möchtest Du unseren Leser/innen noch etwas auf den Weg geben?

KURDO - Bevor ich Rapper wurde, wollte ich studieren. Ich habe mein Berufskolleg 1 abgeschlossen. Das Berufskolleg 2 habe ich leider nicht geschafft, weil ich mich ein bisschen daneben benommen habe. Aber ich bereue es. Ich würde gerne noch einmal mein Abitur machen, einfach um den Leuten zu zeigen, ich kann das auch. Ich bin nicht unterprivilegiert, ich bin nicht dumm. Ich kann das genauso. Am besten ist es, auf die Eltern zu hören, die Schule zu machen - und natürlich immer vom Herzen aus zu entscheiden.

Interview: Stefan Zimmer


Slumdog

AhhDie frechen Jungs, wir saßen in der Klasse ganz hintenWir waren Slumdogs, die Wasser aus der Hand trinkenIn diesem Slum Junge gibt es keinen ParagraphLeb dein Leben, Lifestyle Barr-AllahJa, man wir liebten diesen LifestyleTun was wir wollen, dreckig und frei seinWir hatten keinen SpielplatzLeben Stil extrem, wir spielten auf dem Bordstein Benz zählenFünf beste Freunde, wir hatten keine KinokartenEiner nahm das Geld und vier mussten vor‘m Kino wartenWenn er rauskommt, erzählt er uns den FilmEr bewegt sich wie im Film, man das Leben war so wildSpring um dein Leben, von Gartenzaun zu GartenzaunMit vollen Tüten, Früchte aus dem Garten klauenKämpfen war Alltag, meine Straße gegen DeineDeswegen haben wir Narben auf dem Kopf von den Steinen

Salamu Aleykum, Aleyk wa SalamWo ich herkomme, ich komme aus den SlumsWo alles begann, von Serseri zu MannMillionär oder Bankrott, ein Slumdog bleibt ein Slumdog

Wir haben im Schlamm gespielt, haben uns am Fluss gewaschenMeine Kindheit war ein Traum, ich würd' es keine Stunde hassenDiese Jungs, die gegen Regeln verstoßen, wurden von zu Hause ausmit Schlägen erzogenWir lernten schnell, auf der Straßen gibt es kein VertrauenJa, auf der Straße haben wir nach der Schule Eis verkauftPyjamahose, Unterhemd, scheiß drauf ich muss weiter sparenGutes Essen, schicke Kleider gab es nur an FeiertagenUnd wir sahen, wie Helikopter übers Land fliegenMan wir taten so, als würden wir sie abschießenIch habs geliebt, schlafen auf dem DachDer Sonnenschein am Morgen, die Straße macht uns wachBei den Nachbarn essen, zu vertieft in ArmutScheißt drauf wir hatten Spass, Fußball spielen barfußNach dem Spiel gab es Eis oder Tee, ausruhenUnd dann liefen wir gemeinsam zur Moschee

Salamu Aleykum, Aleyk wa SalamWo ich herkomme, ich komme aus den SlumsWo alles begann, von Serseri zu MannMillionär oder Bankrott, ein Slumdog bleibt ein SlumdogImmer noch derselbe Typ, immer noch der gleiche SoundImmer noch der freche Junge, immer noch so geil und braunJa genau, jetzt macht der Slumdog BusinessLambos, Blitzlicht, Rambo, FitnessDamals lief ich mit kaputten Schlappen durch die StraßeGuck mich an, heute ist mein Name eine MarkeDieser Slumdog, der gestern auf ‘nem Esel saßFährt heute einen Benz in EdelschwarzMein Umsatz steigt, Bankkonten wechselnScheiß auf Bonzen-Mädchen, ich will eine Slumdog-PrinzessinUnd das alles kommt nicht von alleinIch hab jeden Tag gekämpft, ich hab jeden Tag geweintIch bin der Junge aus der Kriegszeit, Nord-IraksK-K-K-K-Kurdo, vom Asylheim in die Charts

"Ich zeige mich so wie ich bin, so wie ich spreche"