Ausgabe 07/2014
Jeder Held isst seinen Joghurt anders
Yasar Kirma kam vor 36 Jahren nach Deutschland. Er will gemeinsam mit dem ver.di-Migrationsausschuss die Integration fördern
Yasar Kirma an seinem Arbeitsplatz in der Registratur der Stadt Mainz
von Vanessa Burkert
Rheinland-Pfalz-Saar - Yasar Kirma kam 1978 nach Deutschland, um hier Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Seine ersten Erfahrungen sind bis heute prägend für ihn. Ein Deutschlehrer brachte ihm in einer Sprachschule zwar die Sprache bei, der Türke hatte jedoch das Gefühl, dass er bei seinem Lehrer nicht wirklich willkommen war. Um das zu ändern, lud er den Lehrer zu sich nach Hause ein. Nachdem die beiden sich privat erlebten und kennenlernten, entstand ein enger Kontakt, den sie bis heute aufrecht erhalten. "Das ist die positivste Erfahrung, die ich in Deutschland gemacht habe, und sie hat mir gezeigt, dass man sich kennenlernen muss, um Vorurteile abzubauen. Dieses Erlebnis prägt mich bis heute", erzählt der Migrant.
In der Gewerkschaft ist jeder willkommen
Die gleichen Erfahrungen hat er in der Registratur der Stadt Mainz gemacht, wo er seit 1988 arbeitet. Ein Türke in einem typischen deutschen Beruf. "Meine Kollegen und ich mussten uns erst kennenlernen. Da lief nicht alles von Anfang an richtig gut." Deshalb wollte sich Yasar Kirma auch politisch engagieren. Er trat in die Gewerkschaft und in eine Partei ein. Dabei stellte er schnell fest, dass die Mitarbeit in der Gewerkschaft für Migranten viel einfacher ist: "Bei einer Partei fragt man bei Wahlen oder Posten, die zu besetzen sind, oft nach der Nationalität der Mitglieder. Bei der Gewerkschaft ist jedes Mitglied, jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer gleich, egal, wo er oder sie herkommt." Darum hat er sich über all die Jahre vor allem bei ver.di aktiv eingebracht.
Unterstützung ist für Migranten sehr wichtig
Für ihn ist die Gewerkschaft der optimale Ort für Integration: "Es ist eine Organisation, in der sich so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft treffen, sich kennenlernen und unterstützen." Für Yasar Kirma ist nach seinen Erfahrungen außerdem der Arbeitsplatz ein wichtiger Ort, wenn es um Integration geht. Da die Gewerkschaften sich um ihre Mitglieder und die Bedingungen am Arbeitsplatz kümmern, kann sowohl bei den Mitgliedern als auch an deren Arbeitsplätzen viel bewegt werden.
Neben der Integration und den gegenseitigen Vorurteilen haben Migranten aber auch andere Probleme, mit denen sie alleine nicht zurechtkommen. "Im Alltag und am Arbeitsplatz gibt es viele kleine Hürden. Es müssen Formulare ausgefüllt werden, man fühlt sich von einem Vorgesetzen nicht ernst genommen oder es kommt zu versteckter Benachteiligung, weil man kein Deutscher ist", erklärt Yasar Kirma. "In solchen Situationen fühlen sich viele Migranten alleine gelassen und trauen sich nicht, ihre Rechte einzufordern. Mit ver.di im Rücken und Kollegen, die helfen, ist vieles einfacher."
Nicht zuletzt deshalb wurde Yasar Kirma auch Mitglied im Migrationsausschuss des ver.di-Landesbezirkes Rheinland-Pfalz-Saarland. Hier bekommen Migrant/innen noch gezieltere Hilfe, der Ausschuss setzt sich für ihre Belange ein. Durch die Interessenvertretung und den dadurch entstehenden Dialog bringt man ein respektvolles Zusammenleben weiter voran. "Ich, meine Familie und alle Migranten, die ich kenne, leben gerne in Deutschland, und wir wollen hier zusammen mit Deutschen was erreichen. In der Türkei gibt es ein Sprichwort, das beschreibt, dass jeder seine Kultur und Eigenarten hat und dass man trotzdem friedlich und respektvoll zusammen leben kann. Es lautet: ,Jeder Held isst seinen Joghurt anders!'"
Sprachrohr für Migranten
Rund elf Prozent der Arbeitnehmer/innen im Dienstleistungssektor haben eine Zuwanderungsgeschichte. Diese Entwicklung spiegelt sich auch bei ver.di wieder. Der Landesbezirk Rheinland-Pfalz-Saarland vereint Mitglieder aus über 100 verschiedenen Herkunftsländern. Seit vier Jahren vertritt der Migrationsausschuss deren Interessen.
Das Ziel des Migrationsausschusses ist die soziale und gesellschaftliche Gleichstellung von Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte. Für dieses Ziel setzen sich die Mitglieder ein, indem sie Diskussionen zu migrationspolitischen Themen innerhalb der Gewerkschaft anstoßen und die Interessen von Migrant/innen nach außen vertreten. Für Christine Gothe, stellvertretende Landesbezirksleiterin und die politisch Verantwortliche für die Personengruppe der Migranten, ist der Migrationsausschuss ein wichtiger Teil von ver.di: "In ver.di Rheinland-Pfalz-Saarland sind mehrere Tausend Menschen mit Zuwanderungsgeschichte organisiert. Daher ist es wichtig, ihren Interessen, ihrer Stimme Gewicht in Politik und Gesellschaft sowie innerhalb von ver.di zu geben. Der Landesmigrationsausschuss bietet eine Plattform, diese Interessen zu bündeln und zum Bestandteil der ver.di-Positionen zu machen."
Für den Migrationsausschuss ist auch die Förderung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte wichtig. Die Mitglieder bieten Unterstützung bei Wahlen zu Betriebs- und Personalräten und stehen als Berater für alle Fragen rund um das Thema Migration zur Verfügung. Außerdem ist die Weiterbildung von Migrantinnen und Migranten ein wichtiger Bestandteil. Denn durch aktive Teilnahme im beruflichen und politischen Leben kann das Ziel von einem gleichberechtigten Zusammenleben gelingen.