Zusteller und Zustellerinnen der "Leipziger Volkszeitung" bleiben nach gescheiterten Wahlen ohne betriebliche Interessenvertretung - Mindestlohn-Perspektiven unklar

Druckereigebäude der Leipziger Volkszeitung in Leipzig-Stahmeln

Richtig zufrieden ist er, wenn er endlich draußen ist, das Gewicht der Gepäcktaschen an seinem Fahrrad ausbalanciert und nach und nach in die Briefkästen verteilt, auf was seine Kunden warten. Unser Kollege ist bei der Leipziger Volkszeitung (LVZ) Zusteller für Zeitungen, nichtadressierte Verteilungen und adressierte Objekte, so steht es in seinem Arbeitsvertrag. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Zu viel Stress und Angst vor Unannehmlichkeiten, die der Arbeitgeber bereiten könnte.

Fast ein Jahr lang haben er und einige seiner Kollegen in den Zeitungsvertriebsgesellschaften (ZVG) versucht, Betriebsratswahlen einzuleiten. Gründe dafür hatten sie reichlich: Sie wollten Mitbestimmung im Betrieb, damit sie verändern können, was sie täglich bei ihrer Arbeit stört. Zum Beispiel zu enge Räumlichkeiten im Depot, um morgens die Post zu sortieren. Zum Beispiel das Fehlen von Arbeitsmitteln wie Wetterbekleidung, Zustellfahrräder und Gepäcktaschen. Zum Beispiel das Sitzenbleiben auf den Reparaturkosten, wenn sie ihre eigenen Fahrräder nutzen. Und natürlich nicht zuletzt: die schlechte Bezahlung.

Unser Kollege Zusteller lässt uns einen Blick auf seine Monatsabrechnung werfen. Hier hat er aufgeschlüsselt, was seine Stücklohnabrechnung wirklich bringt. Im Monat März hatte er 161 Stunden gearbeitet, um seine Drucksachen zu verteilen. Dafür wurden ihm 487,54 Euro auf sein Konto überwiesen - ein Stundenlohn von 3,03 Euro netto mithin. Für einen Zweitjob bleibt ihm gar keine Zeit, also muss er als Aufstocker zum Amt.

Gescheitert an Formfehler

Die Zusteller sind nun gespannt, was es ab Januar 2015 für sie bedeutet, dass der gesetzliche Mindestlohn kommt. Mitbestimmen können sie dabei nichts. Ihre Versuche, einen Betriebsrat zu wählen, sind gescheitert, der letzte nach der Klage der Arbeitgeber wegen eines Formfehlers. ver.di-Sekretär Tobias Kraushaar fasst das so zusammen: "Es ist uns nicht gelungen, in den Zeitungsvertriebsgesellschaften Betriebsräte zu wählen. In der ZVG Leipzig hatten wir das seit März versucht. Der Arbeitgeber hat das leider erfolgreich verhindert. Erst wurden wir wegen der anstehenden Umstrukturierungen hingehalten, dann waren unsere Bemühungen hinfällig, weil im August drei neue Gesellschaften gegründet wurden. Als wir dann in einer davon, der Zustellservice Leipzig West GmbH, einen neuen Anlauf nehmen wollten, haben die beiden Vertriebsinspektoren auf der Wahlversammlung unser Anliegen torpediert. Sie diffamierten die aktiven Kollegen, drohten mit der Wegnahme von Zustelltouren und schufen ein Klima der Verunsicherung."

Für einen Kollegen folgte die Entlassung, da steht der Kündigungsschutzprozess noch aus. Nun ist es schwierig, einen neuen Wahlvorstand zu bilden. Gezieltes Schlechtmachen der engagierten Kollegen durch die Vertriebsinspektoren hat das Vertrauen innerhalb der Belegschaft gestört. Gerade jetzt, wo in Sachen Mitbestimmung, Arbeitsbedingungen und Bezahlung so viel zu regeln wäre, ist keine Lösung für die betrieblichen Probleme in Sicht.

Ärger über Andrea Nahles

Was die Kolleginnen und Kollegen und die zuständigen ver.di-Sekretäre überdies ärgert, ist das Schweigen von Andrea Nahles, SPD, der Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Sie war im Sommer auf Einladung des DGB in Leipzig und bei dieser Gelegenheit gefragt worden, was denn die SPD als Anteilseigner des Madsack-Konzerns, zu der auch die LVZ gehört, von all den Querelen um schlechte Bezahlung, die miesen Arbeitsbedingungen und die Verhinderung von Betriebsräten hält. Sie versprach, der Sache nachzugehen. Passiert ist bis Mitte November nichts, auf Nachfragen der Kollegen reagiert Nahles nicht.

Zusteller, die für die Verlage ausschließlich Zeitungen austragen, werden zum 1. Januar 2015 noch nicht in den Genuss des Mindestlohns kommen. In den ZVG der LVZ kommt zu den Zeitungen der alternative Postdienst hinzu, also haben die Kollegen Anspruch auf den Mindestlohn. Was das für ihre Einkommen und die Bewertung ihrer Arbeitsstunden bedeutet, wussten sie bei Redaktionsschluss der vorliegenden ver.di publik-Ausgabe noch nicht.