Heike Langenberg ist Redakteurin der ver.di publik

Zum Thema Mindestlohn haben wir uns die Finger wundgeschrieben in den vergangenen Jahren. Und im Sommer schienen die Gewerkschaften endlich am Ziel: Zum 1. Januar 2015 sollen die meisten Beschäftigten in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf mindestens 8,50 Euro Stundenlohn haben.

Die Ausnahmen haben wir zähneknirschend zu Kenntnis genommen. Klar ist, dass sie abgeschafft gehören, ebenso, dass der Euro-Betrag schnellstmöglich nach oben angepasst werden muss. Aber wie es schien, war mit der Verabschiedung des Gesetzes erst einmal ein Pflock gesetzt. Dabei war auch absehbar, dass die Arbeitgeber versuchen würden, diesen Pflock mit allen Mitteln wieder zu lockern. Darauf hatten sich die Gewerkschaften eingestellt. Sie werden ihre Mitglieder vor allem auch juristisch bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterstützen. Doch dass die Regierung, namentlich das Bundesfinanzministerium, auf dem Verordnungswege dazu einlädt, ihr eigenes Gesetz zu umgehen, nährt den Verdacht, dass sie den Lobbyisten der einschlägigen Branchen nur zu gern die Steigbügel hält.

So waren es gerade die Arbeitgeber in der Zeitungszustellung, die im Sommer durchsetzen konnten, dass sie den vollen gesetzlichen Mindestlohn erst in zwei Jahren zahlen müssen. Dazu hatten sie sogar die Pressefreiheit bemüht, die angeblich ins Wanken gerät, wenn die Zusteller/innen halbwegs anständig bezahlt werden. Jetzt kommt das Bundesfinanzministerium den Zeitungsverlagen erneut entgegen, denn sie gehören zu den Branchen, in denen nicht Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit erfasst werden müssen, sondern nur deren Dauer. Das öffnet einem Gewerbe, das es mittels Stücklohn und sportlich schnell gerechneten Touren bisher geschafft hat, die Stundenlöhne teilweise auf unter vier Euro zu drücken, neue Möglichkeiten des Lohndumpings. Damit rückt die Regierung wieder ein Stück weiter von ihrem vollmundigen Versprechen eines Mindestlohns für alle ab - ein weiteres Beispiel für erfolgreichen Lobbyismus in unserem Land.