Ausgabe 08/2014
Wir sind doch wohl mehr wert
Mehr Anerkennung ist das Ziel der ver.di-Aufwertungskampagne für die über 720.000 Beschäftigten im sozialen Bereich. Es geht nicht um schöne Worte, sondern um die Höhergruppierung der Beschäftigten und dadurch um mehr Geld, durchschnittlich 10 Prozent. ver.di fordert die kommunalen Arbeitgeber für Januar zu Tarifverhandlungen auf.
Von Claudia von Zglinicki
"Ja, ich denke, ich bekomme zu wenig für das, was ich täglich tue", sagt die rothaarige Sozialarbeiterin Heike Geithner energisch. "Wir verdienen mehr." Deshalb kommt ihr die Aufwertungskampagne von ver.di gerade recht. Die Gewerkschaft hat zum Jahresende die Eingruppierungsvorschriften und die Entgeltordnung für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst gekündigt. Am 18. Dezember wird die Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst die ver.di-Forderung für die Tarifverhandlungen beschließen.
Doch schon seit Wochen diskutieren viele Beschäftigte darüber. Mitte November haben mehr als 200 Aktive aus dem Sozial- und Erziehungsdienst sich auf der ver.di-Tarifkonferenz auf eine Empfehlung geeinigt: Die Höhergruppierung aller Beschäftigten soll durchgesetzt werden, durchschnittlich zehn Prozent mehr Gehalt soll das bringen, für Berufsanfänger/innen und Leiterinnen, Jüngere und Ältere.
Zum Beispiel für die 355.000 Erzieher/innen in Kitas. Rund 60 Prozent von ihnen haben nur Teilzeitstellen; sie brauchen deshalb oft einen Zweit- oder Drittjob. Dabei wird immer mehr von den Erzieher/innen erwartet, an Qualifikation, Kenntnissen, Motivation und Einsatz - genauso wie von den Beschäftigten in der Behindertenhilfe, in Beratungsstellen für Drogenabhängige oder Jugendliche mit Essstörungen, in Kinderheimen, in der Schulsozialarbeit und im Sozialen Dienst.
ver.di - die Gewerkschaft für Kitas und Sozialarbeit
Auch die 55-jährige Heike Geithner aus Halle/Saale hat als Erzieherin begonnen, ausgebildet an einer Fachschule in der DDR. In den 90er Jahren hat sie sich weiter qualifiziert. Aber das reichte ihr nicht; berufsbegleitend hat sie dann noch Sozialarbeit studiert und ihren Bachelor-Abschluss geschafft.
Jetzt arbeitet sie im Allgemeinen Sozialen Dienst, im Jugendamt. Dort, wo man "immer mit einem Bein im Knast steht", wie sie und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen sagen, um den hohen Druck zu beschreiben, unter dem sie jeden Tag stehen. Denn sie müssen immer wieder richtig entscheiden, dürfen ein Kind nicht zu früh aus einer Familie herausholen, in der es möglicherweise gefährdet ist, dürfen aber auch nicht zu lange zögern.
Einige Male hat auch Heike Geithner schon zu diesem äußersten Mittel greifen müssen. "Nicht oft", sagt sie, "es ist immer schwer, ein Kind aus der Familie zu holen. Aber wenn es sein muss, dann mache ich es, sogar mit der Polizei, wenn nötig." Doch sie ist froh, dass sie noch nicht oft dazu gezwungen war.
"Das Kindeswohl" sollen Geithner und ihre Kolleg/innen garantieren. Aber kann man das, von einem Büro aus - und für so viele Mädchen und Jungen, für die die Jugendämter zuständig sind? Heike Geithner betreut zurzeit 60 bis 80 Familien, die in einem riesigen Gebiet wohnen. Die Zahl wechselt, manche Eltern brauchen nur einmal eine Beratung, aber für rund 40 Familien ist Geithner über lange Zeit verantwortlich als Gesprächspartnerin und Hilfe.
"Bei allen Konflikten - mir macht die Arbeit Freude", sagt sie. "Ich rede gern mit den Leuten, kurz, deutlich und ungeschminkt. Manche sagen mir in Wut dann auch schon mal, dass sie mich hassen. Aber wenn sie eines Tages wegziehen und dadurch künftig nicht mehr von mir betreut werden, kommen manchen die Tränen." Ihnen versichert sie dann, dass auch ihre Kolleginnen und Kollegen in dem neuen Jugendamt gut arbeiten und sich zuverlässig kümmern werden. So wie sie. Und deshalb will sie - ganz unverblümt - "mehr Kohle sehen".
Für zu viel Bescheidenheit hat sie kein Verständnis. Sie wünscht sich nur, dass das "hoffentlich auch viele unserer Kolleginnen so sehen, gerade hier im Osten. Dass sie mich bei Aktionen und Warnstreiks nicht allein in Halle auf der Rathaustreppe stehen lassen!" Sie wird jedenfalls dabei sein, wenn es losgeht.
Kinder aus Syrien in der Kita am Bodensee
"Ich bin bei uns die ver.di-Frau, das wissen alle. Seit zehn Jahren schon." Manuela Hettich nickt selbstbewusst. Die 52-Jährige leitet eine kommunale Kita in Radolfzell am Bodensee. Fast 100 Kinder kommen täglich hierher, werden von 14 Erzieherinnen und zwei Erziehern betreut. Jedes ist anders. Kinder aus Akademiker- und aus bildungsfernen Familien sind darunter, auch sehr viele Flüchtlingskinder, aus kurdischen und afrikanischen Familien, aus Syrien und Afghanistan. Dass sie alle sich in der Kita wohlfühlen, hier lernen können, hier zur Ruhe kommen, das sei sehr wichtig für sie, sagt Manuela Hettich. "Wir haben ein Riesenhaus für altersgemischte Gruppen. Ein Schwerpunkt bei uns sind Bewegung, Toben und Sport, aber natürlich spielt auch die Sprachförderung eine große Rolle. Wir holen jedes Kind da ab, wo es steht." Das sei eine große Aufgabe, erfordere immer mehr Fachwissen.
Teamsitzung in der Kita im baden-württembergischen Radolfzell. Von links: Ingrid Kahl, Maria Friedlein, Manuel Richter, Bettina Danger und die Leiterin des Hauses, Manuela Hettich
Seit 18 Jahren leitet Manuela Hettich die Kita schon. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert, auch sie hat immer mehr gelernt, über die Partnerschaft mit den Eltern, über neue pädagogische Ansätze, aber auch über die Organisation eines so großen Hauses und die Mitarbeiterführung. "Das sind Managementaufgaben, das erledigt sich nicht nebenbei. Ohne privates Engagement und Arbeit in der Freizeit ist das nicht zu schaffen", sagt sie.
Schon 2009, in der letzten Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst, waren Manuela Hettich und ihre Kolleginnen bei den Streiks dabei. Jetzt plant sie, wie das Haus mit den Plakaten und den Blumen aus der ver.di-Aufwertungskampagne gestaltet werden soll. Und das nicht nur der schönen Optik wegen, sondern um Eltern und Öffentlichkeit zu zeigen, worum es ihnen geht. An den Warnstreiktagen werden die Eltern zu Kaffee und Brezeln eingeladen - und zum Reden natürlich. Und vielleicht kommen sie dann sogar mit Fotos in die Lokalzeitung. Manuela Hettich lacht. "Ich weiß schon lange: Information ist alles!"
Heilerziehungspfleger ist man fast rund um die Uhr
Früh um halb sieben tut Torsten Huß meist all das, "was eben um diese Zeit in einer Familie läuft", wie er sagt. Die Kinder wecken, beim Waschen und Anziehen helfen. Manche brauchen weniger Unterstützung, manche sehr viel mehr. Dann kommt das Frühstück, danach bringt er die Mädchen und Jungen zur Schule. Aber dies ist nicht seine Familie, dies ist seine Arbeit. Wenn alle in der Schule sind, hat er erst mal "Feierabend", doch um zwölf Uhr ist er wieder da, die Arbeit geht weiter, mit dem Mittagessen, mit Sport, Therapien... Teildienst, sagt er, sei normal in diesem Beruf. Der eigentliche Feierabend beginnt oft erst um 20 Uhr 30.
Die zehn Kinder und Jugendlichen der Gruppe, die der Heilerziehungspfleger Huß in einer großen diakonischen Einrichtung, den "Zieglerschen", betreut, sind geistig behindert. Manche haben zusätzlich eine Hör- und Sprachbehinderung. Für sie wurde hier im baden-württembergischen Wilhelmsdorf eine vereinfachte Gebärdensprache entwickelt. Torsten Huß zeigt auch Neugierigen gern die klaren Gesten.
Mit behinderten Menschen wollte er immer arbeiten, schon als Junge hatte der heute 38-Jährige diese Idee. Er würde sich auch jetzt nichts anderes wünschen, "aber ein auskömmliches Gehalt muss endlich her", stellt er fest. "Auch für Teilzeitarbeit." Durch die verschiedenen Schichtmodelle und das hochflexible Arbeiten, auch am Wochenende und an den Feiertagen, hat er nur eine 80-Prozent-Stelle. Vollzeit gehe meist gar nicht, das ließe sich nicht organisieren. Daher spürt er manchmal schon die Angst vor der Altersarmut.
Torsten Huß gehört zur ver.di-Tarifkommission seiner Fachgruppe. In den "Zieglerschen" hat er die ver.di-Betriebsgruppe gegründet, denn er will "Mitglieder gewinnen und unsere Botschaft unter die Leute bringen". Gerade jetzt, in der ver.di-Aufwertungskampagne für Huß und seine vielen Kolleginnen und Kollegen im Sozial- und Erziehungsdienst.