Ausgabe 01/2015
Brainfood - das Gehirn isst mit
ver.di publik - Jede/r fünfte Deutsche isst täglich in einer der über 14.000 Kantinen, Betriebsrestaurants oder Mensen in Deutschland. Viele fühlen sich nach dem Essen alles andere als fit und leistungsfähig. Woran liegt das?
Irina Baumbach - Die meisten Kantinen bieten gute deutsche Küche an. Dazu gehören neben Fleisch, Fisch und Gemüse meist auch Kartoffeln, Nudeln oder Reis. Die Kombination aus Kohlehydraten und Fetten ist jedoch für unseren Stoffwechsel eine Herausforderung: Um dieses Essen gut verwerten zu können, zieht er einen Großteil der Energie vom Körper ab, um diese ausschließlich den Verdauungsvorgängen zur Verfügung zu stellen. Darunter leidet insbesondere das Gehirn, was sich auch auf Wachheit, Konzentration und Leistungsfähigkeit niederschlägt.
ver.di publik - Sie haben mehrere Kantinen nach einem Brainfood-Konzept umgestellt. Was genau ist Brainfood?
Baumbach - Das Konzept berücksichtigt vor allem den Gehirn- und Energiestoffwechsel. Wir gestalten die Kantinen dahingehend um, dass alle Wirkstoffe, die für die Gehirnprozesse notwendig sind - hierzu zählen die lebensnotwendigen Aminosäuren (Fisch, Fleisch, Nüsse) sowie Fettsäuren (die richtigen Öle) - in den angebotenen Gerichten enthalten sind. Darüber hinaus wird die Zufuhr aller Bausteine für die Neurotransmitter, Botenstoffe des Nervensystems, sichergestellt, ohne die unser Gehirn nicht arbeiten kann. Bei den Fettsäuren liegt der Fokus speziell auf den Omega-3-Fettsäuren, die entzündungshemmend wirken und das Nervengewebe zur Produktion neuer Nervenzellen anregen. Auf der anderen Seite wird die Zufuhr von Kohlehydraten im Essen deutlich reduziert. Kohlehydrate lassen den Insulinspiegel ansteigen, in dessen Folge der Körper auf "Gewebe aufbauen" umstellt und dafür die gesamte verfügbare Energie bereitstellt. Der Eiweißanteil wird dagegen für eine gute Sättigung erhöht. Mit einfachen Worten: Es sind die Kohlehydrate, die uns nach dem Essen platt machen. Ein Gemüsesalat mit Fisch und Feta hat diesen Effekt trotz gleicher Menge und Energie nicht.
ver.di publik - Was wurde bei den Kantinennutzern vor und nach der Umstellung untersucht?
Baumbach - Wir haben die Beschäftigten einer umfangreichen Labordiagnostik unterzogen. Ihr Blut wurde auf spezielle Stoffwechselparameter untersucht, die mit Herzinfarkt und Schlaganfall sowie Übergewicht und Diabetes zusammenhängen. Zum anderen wurden Körperzusammensetzung, Blutdruck und Bauchumfang gemessen. Ergänzt wurde die Labordiagnostik durch einen speziellen Fragebogen, der weitere Lebensstilfaktoren erfasste, aber auch auf Leistungsfähigkeit, Motivation, Schlaf und Wohlbefinden ausgerichtet war. Die Diagnostik wurde zu Beginn und am Ende des Projekts erhoben und von einem persönlichen Bewegungs-, Stress- sowie Ernährungscoaching begleitet
ver.di publik - Welche Erfahrungen wurden nach der Umstellung gemacht?
Baumbach - Die Beschäftigten fühlten sich wohler, leistungsfähiger und stressresistenter. In Zahlen hieß das: weniger Krankheitstage und eine gesteigerte Produktivitätsrate. Auch die Laborwerte verbesserten sich messbar: Insbesondere die Cholesterin- und Entzündungsparameter sowie der Blutdruck fielen deutlich ab. Die Ergebnisse resultieren vermutlich aus der Kantinenumstellung in Verbindung mit dem Coaching. Wie so oft ändern Menschen ihr Verhalten langfristig erst dann, wenn es ihnen für möglichst viele Alltagssituationen serviert wird.
ver.di publik - Was raten Sie Menschen, die eine normale Kantine nutzen müssen?
Baumbach - Auf Kartoffeln, Reis und Nudeln zum Mittag verzichten oder für den Anfang halbieren und durch Gemüse ersetzen. Dabei immer auf eine Eiweißkomponente zur optimalen Sättigung achten - Fleisch, Fisch, Käse, Quark - und Wasser trinken. Wer anfangs das typische Völlegefühl vermisst, kann sich mit ein paar Nüssen vor oder nach dem Mittagessen behelfen.
Interview: Fanny Schmolke