Das Auge des Arbeiters

Stadtmuseum Dresden - Das "Neue Sehen", das in der Weimarer Zeit entstand, ist vor allem auch der Leica zu verdanken. Mit der erschwinglichen Kompaktkamera aus Wetzlar wurde es Amateuren aus Arbeiterklasse und Bauerntum auf einmal möglich, ihre Lebenswelt selbst zu fotografieren. So privat familiäre oder kollegiale Bilder auch intendiert waren, im Entwicklungsbad ließen sie eine unvermutete soziale Wirklichkeit erscheinen. Die im Dunkeln lichteten sich jetzt selbst ab.

In jener konfliktreichen Epoche dauerte es dann nicht lange, bis die Leica als Waffe im Dienst des Klassenkampfs angewandt wurde. Mit der "Eroberung der beobachtenden Maschinen" sollte die Welt nicht bloß abgebildet, sondern neu wahrgenommen und entsprechend verändert werden. Zugleich entdeckten die KPD-Führer, dass eine aussagekräftige Fotomontage politisch wirksamer war als textlastige Aufrufe. Nicht mehr mit der bürgerlichen Kultur tritt Agit-Prop in Konkurrenzkampf, sondern mit Werbung, Magazinen und Kino. Die Fotografie wiederum wirkte auf das Fotografierte ein: Mit Blick auf die kommenden Bildreportagen wurden kommunistische Umzüge theatralischer und karnevalesker gestaltet.

Die Ausstellung Das Auge des Arbeiters, die nach Zwickau und Köln jetzt im Stadtmuseum Dresden zu sehen ist, bietet einen eindrucksvollen Einblick in die vergessene Welt der proletarischen Fotografie. Sie ist das Ergebnis eines langjährigen Forschungsprojekts unter der Leitung des Dresdner Kulturwissenschaftlers Wolfgang Hesse. Aus sächsischen Sammlungen und Archiven wurden hunderte unbekannte Fotografien ausgegraben. In thematische Bereiche untergliedert, hängen Momentaufnahmen von Hobbyknipsern gleichberechtigt neben ambitionierten künstlerischen Werken wie den Fotomontagen von John Heartfield. Dazwischen werden Grenzgänger wie Albert Hennig präsentiert, der als arbeitsloser Bauarbeiter zum Dessauer Bauhaus kam. Um sie in ihren Kontext zu stellen, werden die Fotografien mit Stadtbildern, Plakaten, aber auch zeitgenössischen Malereien des kritischen Realismus und der neuen Sachlichkeit konfrontiert. Wir entdecken, wie die moderne Medienwelt von unten mitgestaltet wurde. Obwohl dieser Versuch brutal gestoppt wurde, prägt er heute noch unsere Wahrnehmung. Zur Ausstellung ist auch ein lesenswertes, reichlich bebildertes Buch bei Spector Books erschienen. Guillaume Paoli

DAS AUGE DES ARBEITERS - ERINNERUNGSFOTOGRAFIE UND BILDPROPAGANDA UM 1930, STADTMUSEUM DRESDEN BIS 12. JULI 2015. WILSDRUFFER STR. 2, 01067 DRESDEN, DI-SO 10-18 UHR

DAS AUGE DES ARBEITERS - ARBEITERFOTOGRAFIE UND KUNST UM 1930 (HRSG. WOLFGANG HESSE), VERLAG SPEcTOR BOOKS LEIPZIG, 34 €, ISBN-978-3944669441


Dialog mit der Zeit - In dieser Ausstellung gibt es eine Rampe mit je ein paar Stufen auf jeder Seite. Man soll sie mit speziellen Gewichten an den Beinen nehmen, um zu erfahren, wie schwerfällig der Gang werden kann, wenn man alt ist. Wann man alt ist oder so alt, dass die Beine schwer werden, kann man sogenannte Senior-Guides fragen. Sie begleiten durch diese Erlebnisausstellung. Entweder erzählen sie von sich selbst oder erklären die verschiedenen interaktiven Stationen. So kann man auch versuchen, eine Haustür zu öffnen, nur dass einem dabei die Hand zittert, als hätte man Schüttelfrost. Im Alter ist es oft eher die Krankheit Parkinson, die das Zittern der Glieder verursacht. So kann man diese Ausstellung als eine sanfte Vorbereitung auf das Altern betrachten oder sich in seinem Alter bestätigt sehen. Der gewollte Dialog mit den Senior-Guides holt die Selbstversuche im Abstrakten in die Realität. Allerdings fehlt der Schau ein wichtiger Aspekt: Was ist, wenn man nicht nur alt, sondern auch arm ist? Die Guides dort sind davon nicht betroffen. Aber man kann ja mit ihnen darüber reden. Petra Welzel

MUSEUM FÜR KOMMUNIKATION BERLIN, LEIPZIGER STR. 16, BIS 23. AUGUST 2015, DI 9-20, MI-FR 9-17, SA/SO 10-18 UHR


Inhuman - Im Allgemeinen versteht der Mensch unter dem Begriff inhuman schlicht unmenschlich, meist im Sinne von grausam. Er bezeichnet aber auch das, was nach dem Ableben aus dem Humanen wird, oder auch das Nicht-Menschliche im weltweiten Internet. Insofern beschäftigen sich die 15 jungen, sogenannten Post-Internet-Künstler/innen in dieser Ausstellung mit den vielfältigen Formen des Nicht-Menschlichen. Etwa mit Avataren, sozusagen geklonten Ichs, die man sich im Netz zulegt. Oder dem digitalen Nachlass Verstorbener, der sich nicht einfach in einer Urne beisetzen lässt. Sehr beeindruckend in der Reihe aller Werke ist der "UterusMan" der chinesischen Künstlerin Lu Yang. Er ist eine Art Mangafigur in einem 3D-animierten Video und ein Held, ohne Frage. Aber mit einer schrägen Aufgabe. Selbst mit Menstruationsblut angetrieben, ist ihm die Aufzucht eines Revoluzzers - noch im Fötus-Status - aufgetragen, der der Welt nicht unbedingt Gutes bringen wird. Der "UterusMan" ist eine Mahnung wie einige andere Werke der Ausstellung auch. Und letztlich ein Ruf nach Menschlichkeit. Petra Welzel

MUSEUM FRIDERICIANUM, KASSEL, BIS 14. JUNI 2015, DI-SO 11-18 UHR