Lübecker Nachrichten, 16. Juni 2015

Da befürchtet man schon, dass sich die Ausführungen des Ver.di-Chefs im Klein-Klein der Organisationsverästelungen verheddern - und irrt. Bsirske hat jetzt das große Ganze im Blick. Er sagt: "Wir tragen einen Kulturkampf in der Arbeitswelt aus." Über dessen Gelingen würden nicht so sehr Prozentzuwächse und Tariflaufzeiten entscheiden. Es gehe um Grundsätzliches, betont Bsirske, kommt auf die Erzieher zu sprechen und gerät ins Schwärmen: "Der Arbeitskampf war überfällig." Nie im Leben hätte er eine solche Resonanz für möglich gehalten. "Die Frauen haben ein Berufsethos entwickelt, einen Facharbeiterstolz."


Patientenwohl gilt viel

Berliner Morgenpost, 20. Juni 2015

Das Streikrecht ist in einer Demokratie ein hohes Gut. So überrascht es auch letztlich nicht, dass das Arbeitsgericht Berlin am Freitag den Eilantrag der Charité zurückgewiesen und den von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausgerufenen unbefristeten Streik des Pflegepersonals gestattet hat. (...) Das Gericht argumentierte nicht zuletzt mit der Güte der zwischen Gewerkschaft und Klinikleitung abgeschlossenen Notdienstvereinbarung. Die hat auch bei früheren Arbeitskämpfen gezeigt, dass den Verdi-Mitarbeitern das Patientenwohl viel gilt.


Sichere Post-Jobs

Nürnberger Nachrichten, 7. Juli 2015

Der längste Streik der Postler seit 20 Jahren lässt zurückdenken an einen noch längeren Streik [...] der über sechswöchige Ausstand im Kampf um den Erhalt der AEG-Fabrik in Nürnberg. Was beide verbindet, ist der Umstand, dass der Auslöser eine unternehmerische Entscheidung war. [...] Bei der Post kam der Aufruhr richtig in Gang, nachdem die Post AG zum Jahresanfang begonnen hatte, in der Paketsparte regionale Gesellschaften zu gründen mit Zustellern, die nach den - verglichen mit dem Post-Haustarif - niedrigeren Tarifen des Logistik- und Speditionsgewerbes bezahlt werden. Ein Streikgrund durfte dies rechtlich ebenso wenig sein wie die Werkschließung damals in Nürnberg.

ver.di löste die Kollision mit dem Gesetz dadurch, dass sie Entgeltforderungen bei den Verhandlungen mit der Post in den Vordergrund schob, im Hintergrund aber weiter die Ausgliederung eines Teils der Paketbeförderung am heftigsten bekämpfte. Das schaffte die Gewerkschaft nicht, die DHL Delivery bleibt. Das war abzusehen. Aber die Beschäftigten verhinderten, dass ein wachsender Teil des Frachtgeschäfts in die neuen Gesellschaften übergeht und, wer weiß, am Ende auch die Briefsparte abwandert.


Wieder ein früherer Staatskonzern

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juli 2015

Das Ahrtal ist für die Gewerkschaft Verdi kein guter Ort für schwierige Tarifverhandlungen. Vor einigen Jahren erlebte sie im beschaulichen Bad Neuenahr ein erstes Waterloo: Nach wochenlangen Streiks lagerte die Deutsche Telekom damals 50.000 Techniker und Service-Mitarbeiter in Billiglohn-Gesellschaften aus, um ihre im Branchenvergleich viel zu hohen Kosten zu kappen. Jetzt wiederholte sich die Geschichte.


Eine symbolische Minute

Der Tagesspiegel, 16. Juli 2015

Die Festtagsstimmung wollte Verdi wohl nicht ganz verderben. Für nur eine symbolische Minute sollten die Amazon-Beschäftigten in den neun deutschen Logistikzentren des Onlinehändlers am Mittwoch die Arbeit niederlegen. Weder Konzernchef Jeff Bezos noch seine Kunden im Jubiliäumseinkauf-Stress dürfte das nachhaltig beeindruckt haben. (...) Günstige Preise, guter Service, ein faires Verhältnis zu Arbeitnehmern und Geschäftspartnern: So freundlich wie Amazon es gerne darstellt, ist das Bild nicht. (...) Anfang 2013 löste eine TV-Reportage über katastrophale Bedingungen für Saisonarbeiter Empörung aus.