Laut einer ver.di-Umfrage arbeiten immer weniger Menschen unter einem Tarifvertrag. Sind die über 50-Jährigen zu 72 Prozent noch mit guten Verträgen ausgestattet, sind es unter den 14- bis 34-Jährigen nur noch 49 Prozent. Das ist schön für die Alten, aber schlecht für die Jungen, und ergibt mehr als einen Grund zu streiken. Für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und natürlich auch mehr Geld. Von dreien, die auszogen, um mehr zu werden und mehr zu erreichen


"Da muss man Druck machen"

Lisa Wittl, 19 Jahre - Fachkraft für Kurierexpress und Postdienstleistungen, Post, Amberg

Mein Lebensweg war programmiert, wenn man das so sagen kann. Ich bin nämlich in einer Postfamilie geboren. Schon mein Ur-Opa, meine Oma und mein Opa waren bei der Post, und mein Papa war es auch. Als wir von der Schule aus ein einwöchiges Betriebspraktikum machen konnten, hab' ich mich dann eben auch für die Post entschieden. Eine Woche habe ich verschiedene Bereiche kennengelernt. Ich bin mit dem Auto mitgefahren und fand das eigentlich ziemlich cool, weil man selbstständig arbeiten kann. Man ist sein eigener Chef auf der Tour. Du kannst langsam sein, du kannst schnell sein, je nachdem ob du einen guten oder schlechten Tag hast. Das fand ich gut. Als die Ausbildung dann anfing, hatten wir Blockunterricht. Wir waren zwei Wochen in der Arbeit und zwei Wochen in der Berufsschule. Dann hat mich die Jugend- und Auszubildendenvertretung gefragt, ob ich mich aufstellen lassen möchte. Die fanden mich anscheinend alle gut, und letztendlich haben mich die Azubis auch gewählt.

Mal ist viel Post da, mal wenig

Manchmal fahre ich jetzt nach Bayreuth ins Büro, wenn wir Sitzungen oder Jugendversammlungen haben. Ansonsten arbeite ich als Zustellerin bei der Post in Amberg. Ich habe keinen festen Bezirk, ich bin Springerin und bediene so um die acht bis zehn Zustellbezirke mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Auto. Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal ist viel Post da, manchmal ganz wenig. Das richtet sich immer nach dem Kalendermonat, am Monatsende ist mit den vielen Rechnungen natürlich mehr zu tun. Wir haben 30 Azubis in unserer Niederlassung, und wenn etwas nicht nach Ausbildungsplan läuft, oder die Azubis Probleme haben, können sie sich an uns wenden.

Letzten Monat haben wir einen Tag mitgestreikt. Das war toll. Ich bin wie die anderen vor der Niederlassung abgefangen worden und wir sind mit dem Bus gemeinsam zum Streiklokal gefahren. Dort waren auch noch andere Zusteller. Die meisten haben Warnwesten angezogen, und ver.di hat Trillerpfeifen an uns verteilt. Wir haben gemeinsam gefrühstückt, Gruppenfotos und ganz schön Lärm gemacht.

Es ging um die 36-Stunden-Woche und den Vertragsbruch der Post wegen der Ausgliederung in neue Gesellschaften. Nachdem die letzten Wochen immer schlimmer wurden und die Post keine Zugeständnisse machen wollte, sind wir in den unbefristeten Streik gegangen. Ich fand das gut, denn wir wollten auch endlich mal etwas erreichen. Da muss man Druck machen, damit langwierige Verhandlungen auch voran kommen. Bei den Azubis geht es vor allem um die Übernahme. Viele haben Angst zu streiken, weil sie negative Folgen für ihre Ausbildung befürchten. Seit dem 1. Juni waren aber auch die Azubis zum Streik aufgerufen. Die haben nun endlich auch das Recht zu streiken.

Mit ver.di ist man gut abgesichert, wenn man streikt. Während des Streiks gab es vom Arbeitgeber kein Geld, aber von ver.di bekommen wir für die Ausfalltage Streikgeld. Wenn wir viele sind und uns für unsere Sache einsetzen, können wir einfach mehr erreichen. Ich kenne einige Kollegen, die mitgestreikt haben und das Anmeldeformular von ver.di vor Ort ausgefüllt haben, um der Gewerkschaft beizutreten. Sogar die Studierenden haben mit uns gestreikt, obwohl sie als Aushilfen kein Geld verdienen, wenn sie nicht arbeiten. Ich fand das super. Die haben einfach gesagt: Euch lassen wir nicht allein.


"Das Gefühl dabei war Wahnsinn"

Christine Feltz, 29 Jahre - Erzieherin und Integrationsfachkraft, Dorsten

Der Beruf der Erzieherin hat sich gravierend verändert und sieht heute ganz anders aus als vor zwölf Jahren, als meine Ausbildung begann. Ich möchte, dass mein Beruf anerkannt wird und die Leute sehen, dass ich nicht nur die Basteltante bin. Ich bin eine derjenigen, die die Kinder auf die Schule und auf das Leben vorbereitet. Was wirklich wichtig ist, ist einerseits mehr Personal, mehr Fachkräfte in den Einrichtungen und andererseits eine bessere Bezahlung unserer Arbeit.

Meist fange ich um 7 Uhr morgens an, decke den Frühstückstisch für die Kinder, danach finden wir uns in einem Stuhlkreis zusammen und erzählen uns, was gerade wichtig ist, spielen oder singen. Es gibt immer auch Zeit fürs freie Spiel, dann können die Kinder selbst entscheiden, was sie spielen möchten. Wenn das Wetter es zulässt, gehen wir raus, um 12 Uhr 30 gibt es Mittagessen. Anschließend werden Zähne geputzt und manche Kinder schlafen dann. Danach turnen wir oder machen eine Kreativ AG, in der wir basteln und werkeln, oder eine Sprach AG, in der es konkret um das Sprechen geht. Einige Kinder haben eine Behinderung. Die fördern und betreuen wir. Wir arbeiten mit Therapeuten zusammen, begleiten die Therapien.

Mein Augenmerk liegt darauf, die Kinder mit Einschränkungen in die Gruppe zu integrieren, damit sie einen normalen Alltag haben. Wenn Kinder eine körperliche Behinderung haben, dann wandle ich die Spiele so um, dass auch sie mitspielen können. Ich gebe ihnen einen Hocker, damit sie an bestimmte Dinge selbst rankommen oder einen extra Stuhl.

Wir haben in unserer integrativen Kindertagesstätte 40 Kinder und sind acht Erzieherinnen - sieben in Voll- und eine in Teilzeit. Ich habe eine 39-Stunden-Woche. Dadurch, dass wir zwei Integrationsfachkräfte sind, haben wir zwei Leute zusätzlich für die Betreuung der Kinder. Das ist Luxus.

Seit 1991 nur Stillstand

Wir waren am 2. Juni dennoch zum Streik in Düsseldorf. Es wurden 15.000 Streikende erwartet. Als wir ankamen, standen schon hundert Busse an der Rheinbrücke, am Rheinufer unten war es richtig voll. Insgesamt waren wir sogar 21.000 Streikende aus dem Sozial- und Erziehungsdienst. Das Gefühl dabei war Wahnsinn. Man kann es gar nicht beschreiben. Als wir vorn am Landtag vor der Bühne standen und demonstrierten, war noch immer die halbe Brücke voll. Vorneweg gingen die Trommler, die sich städteweise zusammengetan und getrommelt haben. Es gab Pfeifen, Rasseln, und wenn einer angefangen hat, hat der Umkreis sofort mitgemacht. Viele Städte haben sich etwas Spezifisches einfallen lassen. Und es wurden Lieder umgedichtet. Wir haben Oh happy day in Aufwerten jetzt umgewandelt. Meist hat jemand vorgesungen und die anderen haben dann nachgesungen. Auch Für unsere Kinder und für ihre Bildung von Andreas Bourani.

ver.di kann sich mit den Arbeitgeberverbänden zusammensetzen und für mich einen Tarifvertrag zustande bringen. Ich alleine kann das nicht. 1991 ist die Eingruppierung in unserem Beruf zum letzten Mal aufgewertet worden, seitdem - Stillstand. In den Medien wird zwar gesagt, zehn Prozent, das sei viel Geld. Aber wenn man sich anschaut, wie sich die Arbeit in den letzten Jahren verändert hat, ist es gerechtfertigt, dass sich die Zahlung daran anpasst.

Es war natürlich notwendig, dass nach vier Wochen Streik etwas passiert. Aber leider hat die Schlichtung viel Unmut unter uns Streikende gebracht. Klar können die Forderungen selten eins zu eins umgesetzt werden, aber das, was uns jetzt geboten wird, ist für alle Beteiligten zu wenig. Ich befürchte aber leider auch, dass viele Mitglieder das Ergebnis so hinnehmen und nach der Sommerpause nicht mehr weitermachen. Ich bin jedenfalls bereit, weiter zu streiken, denn eine Aufwertung sieht für mich anders aus.


"Allein auf der Straße beachtet mich niemand"

Gülsüm Palaz, 23 Jahre - Real, Tönisvorst, Ausbildung als Einzelhandelskauffrau, JAV

Ich habe mit 16 Jahren eine 3-jährige Ausbildung gemacht. Das ist jetzt vier Jahre her. Im zweiten Ausbildungsjahr wurde ich in die Jugend- und Auszubildendenvertretung, JAV, gewählt. Gewerkschaft war ein Thema, das bei uns in der Schule nie angesprochen wurde. Als ich dann auf einmal bei den Betriebsratssitzungen dabei war, wurde mir klar, wie wichtig diese Arbeit ist. Man hat einen Ansprechpartner, man erfährt, welche Gesetze es gibt oder welche Betriebsvereinbarungen bestehen. Als ich anfing, wusste ich darüber fast nichts. Seitdem habe ich viele Erfahrungen mit der JAV- und Betriebsratsarbeit und ver.di gemacht.

Ich bin heute als Jugend- und Auszubildendenvertreterin, JAVin, deutschlandweit für 980 Azubis bei Real zuständig und als JAV-Vorsitzende bin ich wie ein Betriebsrat freigestellt. Ich teile mir ein Büro mit dem Betriebsratsvorsitzenden und bin nur selten im Real-Markt, weil ich oft zu Sitzungen unterwegs bin. Die Azubis können uns aber über das Internet oder Telefon erreichen. Bei vielen geht es um die Berufsschulzeiten, da gibt es immer wieder Probleme, weil der Weg zur Schule oder Arbeit nicht berechnet wird. Viele Azubis wissen nicht genau, wie das geregelt ist, ich wusste es ja auch nicht. Wenn man unter 18 Jahre alt ist, dann muss man beispielsweise einmal unter der Woche nach der Schule nicht mehr arbeiten gehen.

Gerade werden mit verschiedenen Arbeitgebern in verschiedenen Bundesländern Tarifverträge ausgehandelt. Die Arbeitgeber wollen uns hier in NRW nur 1,5 Prozent mehr Geld geben. Wir haben einen zentralen Streiktag organisiert. Da kamen über 3000 Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Handelsunternehmen wie Karstadt, Marktkauf oder Kik und forderten 5,5 Prozent. An dem Morgen, um 5 Uhr 30 - eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn - haben wir mit den Betriebsratsmitgliedern am Eingang vor dem Realmarkt gestanden und zum Streik aufgerufen. Es gab zwar einige, die reingegangen sind, aber die Mehrheit blieb draußen und hat mitgestreikt.

Der Ausstieg aus der Tarifbindung kam auch für mich plötzlich. Ich war bei den Sitzungen nicht dabei und habe es nur von meinen Kollegen erfahren. Unsere Mitarbeiter sind verärgert, dass Real seit dem 17. Juni nicht mehr tarifgebunden ist. Keiner weiß, was der Ausstieg bedeutet. Wir werden wohl erst in den nächsten Wochen erfahren, was der Arbeitgeber beabsichtigt und welche Vorschläge er uns unterbreitet. Bei den Azubis, die noch keinen Übernahmevertrag unterzeichnet haben, herrscht große Unsicherheit. Wir wissen noch nicht, welche Konditionen denen angeboten werden, und dann muss alles erst rechtlich überprüft werden.

Viele streiken nicht, weil sie Angst haben

Viele Azubis streiken nicht mit, weil sie Angst haben, nicht übernommen zu werden. Das ist aber falsch. Azubis sollten mitstreiken, weil sie noch ziemlich lange bis zur Rente arbeiten müssen. Die Älteren, die gehen in zwei bis drei Jahren in Rente, denen kann das, so gesehen, egal sein, was in den nächsten Jahren passiert.

Am Anfang meiner Ausbildung habe ich mich auch zurückgezogen und mich nicht über meine Rechte informiert. Junge Menschen sollten nachfragen, ob das zum Beispiel richtig ist, was der Arbeitgeber sagt. Oft ist es so, dass die Arbeitgeber die Azubis oder Mitarbeiter ausnutzen, wenn das keiner kontrolliert. Wenn ich alleine auf die Straße gehen würde, würden mich die Leute gar nicht beachten. Aber wenn ich mit einhundert oder eintausend Menschen auf der Straße stehe und wir alle das Gleiche fordern, dann wird man uns schon zuhören und die Chancen sind höher, unsere Ziele zu erreichen. Einfach weil wir gemeinsam stärker sind.


O-Ton-Protokolle: Stefan Zimmer