Ausgabe 06/2015
EU-Kommissarin wirft Nebelkerzen
Dierk Hirschel leitet beim ver.di-Bundesvorstand den Bereich Wirtschaftspolitik
Jean-Claude Junker, Angela Merkel und Barack Obama basteln an der weltweit größten Freihandelszone. Zwischen Los Angeles und Bukarest soll ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit über 800 Millionen Menschen entstehen. Dessen Regeln haben Auswirkungen auf Demokratie, Arbeit, Soziales und Umwelt. Entscheidend ist, ob die transatlantische Handelsarchitektur künftig zu einer Privatangelegenheit der Wirtschaft verkommt oder öffentlich reguliert und demokratisch kontrolliert wird.
Brüssel und Washington wollen im transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP eine private Paralleljustiz für ausländische Investoren festschreiben. Im ausverhandelten Abkommen CETA mit Kanada gibt es bereits Investorenschutz und private Schiedsgerichte. Ausländische Konzerne können Gaststaaten auf Schadensersatz verklagen, wenn Gesetze, die zum Schutz der Beschäftigten, der Verbraucher und der Umwelt gemacht werden, den Gewinn schmälern. Sind die Klagen erfolgreich, müssen die Steuerzahler bluten. Das Damoklesschwert einer Schadensersatzklage kann Staaten davon abschrecken, Gesetze zugunsten ihrer Bürger zu ändern. Doch damit nicht genug. Der Investorenschutz verstößt auch gegen den Gleichheitsgrundsatz. Inländische Firmen können im Gegensatz zu ausländischen Investoren nur die nationalen Gerichte anrufen. Die Sonderrechte für Konzerne bedrohen die staatliche Handlungsfähigkeit, der Rechtsstaat wird mit Füßen getreten.
Die EU-Kommission stoppte wegen des breiten Widerstands zunächst die Verhandlungen über Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS) in TTIP. In einer anschließenden öffentlichen Befragung lehnten 97 Prozent private Schiedsgerichte ab. Jetzt schlägt die EU-Handelskommissarin Malmström vor, den Investorenschutz zu erneuern. Malmström wirbt für einen internationalen Investitionsgerichtshof mit unabhängigen Richtern und transparenten Verfahren. Zudem sollen Investoren nicht mehr gegen Gesetzesänderungen klagen können.
Doch Vorsicht: Die EU-Kommissarin wirft Nebelkerzen. Ihr Vorschlag ändert nichts an den Sonderrechten ausländischer Konzerne. Und solange sich daran nichts ändert, gefährden TTIP und CETA unsere demokratischen und sozialen Errungenschaften. Deswegen tragen wir den Protest auf die Straße.