Ausgabe 08/2015
Wie krank ist das denn?
Marion Lühring ist Redakteurin der ver.di publik
Die Krankengeldausgaben haben sich in den letzten Jahren fast verdoppelt, 2006 waren es 5,7 Milliarden Euro, 2014 dann 10,6 Milliarden Euro. Das Gesundheitsministerium sucht nach Lösungen und greift zu absurden Ideen. Bislang kannte die Arbeitswelt nur kranke oder gesunde Beschäftigte. Wer gesund war, ging arbeiten. Wer krank war, blieb zu Hause. An dieser einfachen wie einleuchtenden Formel könnte künftig gerüttelt werden.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe, CDU, hat ein Sondergutachten in Auftrag gegeben und sieht darin "wichtige Anstöße". In dem Gutachten schlägt der Sachverständigenrat Gesundheit (SVR) vor, Arbeitnehmern künftig je nach Krankenstand eine teilweise Einsatzfähigkeit zu bescheinigen. Frei nach dem Motto: Der Busfahrer mit dem gebrochenen Bein hat ja noch zwei gesunde Hände, er kann halbtags im Büro arbeiten. Nicht minder unausgegoren ist der Vorschlag des SVR-Vorsitzenden Ferdinand Gerlach, die Einstufung solle "im Einvernehmen zwischen Arzt und Patienten" erfolgen.
Denn wie frei sind Kranke bei dieser Entscheidung? Bleiben sie noch zu Hause, wenn Kollegen mit gebrochenem Bein aber arbeiten? Dürfen sie ihrem Arzt widersprechen, wenn sie wissen, welcher Druck auf sie wartet? Der DGB-Index Report 2015 für Gute Arbeit hat jüngst erst festgestellt, dass jeder Zweite am Arbeitsplatz hetzen muss, auf Pausen verzichtet und unter Zeitdruck schafft. Alleine das schadet der Gesundheit. Wie aber soll erst ein Kranker damit umgehen und dabei wieder gesund werden? Hinzu kommt, dass körperlich und psychisch belastende Arbeiten mit zunehmendem Alter immer schwerer zu bewältigen sind. Das gesetzliche Renteneintrittsalter mit 67 erfordert aber ein immer längeres Arbeiten. Und: Jeder Zweite ist sowieso schon im letzten Jahr an fünf und mehr Tagen zur Arbeit gegangen, obwohl er sich krank gefühlt hat.
Wer angesichts steigender Krankengeldausgaben an ein Teilkrankengeld denkt, verkennt die Realität. Das Gutachten ist vor allem eins, ein weiteres Druckmittel auf Beschäftigte. Das ist nun wirklich krank.