"Der begeisternde Odem der Emanzipation"

In der Revolution von 1848 gingen auch die Buchdrucker auf die Barrikaden

Von Constanze Lindemann und Hartmut Simon

Barrikadenkämpfe vor dem Köllnischen Rathaus zu Berlin in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848. Erschienen in der Leipziger Illustrierten Zeitung

Während der Revolution von 1848 betraten die Buchdrucker die gesellschaftliche Bühne. Auf den Märzbarrikaden in Berlin und in den Verfassungskämpfen in Sachsen und Baden waren sie vorn mit dabei. Und zahlten einen hohen Blutzoll. Sie kämpften für Pressefreiheit, das allgemeine und gleiche Wahlrecht, aber auch für eine gedeihliche materielle Existenz. Sie wurden zu Geburtshelfern der Demokratie und sind die Gründerväter der modernen deutschen Gewerkschaftsbewegung.

1848 war auch Deutschland von der revolutionären Stimmung erfasst worden, die sich in Europa ausbreitete. Mittendrin: der Arbeiter, die Arbeiterin. "Von Westen her wehte der begeisternde Odem der Emanzipation", sagten die Buchdruckergehilfen. Der Arbeiterstand habe erkannt, "dass auch er Ansprüche an das Leben und seine Freuden habe, dass auch er Rechte haben müsse, da man ihm ja der Pflichten so viele aufbürde". Sie stellten klar, worum es ihnen ging: "Nicht die politische Freiheit allein ist es, welche der Arbeiter so schmerzlich entbehren musste; wie weit mächtiger noch ist sein Ruf nach Brot und Obdach." Die Buchdrucker in Aufruhr. Was war geschehen?

Wer streikte, kam ins Zuchthaus

Das Buchdruckgewerbe hatte weit mehr als 300 Jahre arbeitsteilig und streng geregelt funktioniert, wie zu Gutenbergs Zeiten. Dann kam es zu einer rasanten technischen, aber auch gesellschaftlichen Entwicklung. Mit der ersten Schnellpresse zu Beginn des 19. Jahrhunderts und der Einführung der Gewerbefreiheit mussten die Buchdrucker ihre ersten Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit machen. Die in vielen Offizinen (Druckereien) blühende Ausbeutung vieler Lehrlinge, die "Lehrlingszüchterei", bedrohte Arbeitsplätze und Einkommen der Gesellen zusätzlich.

Sie klagten: "In manchen Offizinen stehen neben zwei Gehilfen 10 bis zwölf Lehrlinge, welche vier bis fünf Jahre den selbstsüchtigen Zwecken ihrer Prinzipale dienen müssen." Die Folge war ein so geringer Verdienst, dass "die erste Pflicht des Staatsbürgers, die Gründung einer Familie, dem gewissenhaften Buchdrucker als eine unverantwortliche Sünde erscheinen musste". Dagegen wehren konnte er sich nicht: Es galt noch die Reichszunftordnung von 1731, die aufständische oder streikende Gesellen ins Zuchthaus schickte.

Fortschritt oder Reaktion

Die Buchdrucker waren es aus den alten Zeiten des "Postulats" gewohnt, als sie alle Angelegenheiten ihres Gewerbes entweder selbstständig oder gemeinsam mit den Prinzipalen weitgehend paritätisch regelten, sich mit den Druckereibesitzern auf Augenhöhe zu verständigen. In Preußen allerdings war das Postulat 1803 und in Bayern 1804 verboten worden. Für die Gehilfen verschlechterten sich ihre Arbeits- und Lebensbedingungen.

Das Wappen der Buchdrucker geht laut Legende auf die Verleihung durch Kaiser Friedrich III. und seinen Sohn zurück. Greif und Doppeladler halten die Werkzeuge der Drucker

In Berlin demonstrierten am 14. März 1848 Gehilfen und Prinzipale zusammen für die "Pressfreiheit". Am 19. März, bei der Ausgabe von Waffen durch die städtischen Behörden, mussten die Buchdrucker allerdings erfahren, dass nur die, die einen selbstständigen Erwerb nachweisen konnten, Waffen bekamen, oder diejenigen, die mit den Druckereibesitzern eine "Korporation" bildeten. Das wurde zum Weckruf für die Berliner Gehilfen. Sie forderten die Druckereibesitzer auf, mit ihnen eine Korporation zu bilden und überreichten einen Katalog mit Forderungen zur Verbesserung ihres Verdienstes und ihrer Arbeitsbedingungen.

Die auch in anderen Städten gestellten Forderungen führten nur in Leipzig und Breslau zu neuen Tarifen, an den anderen Orten änderte sich nichts. In Berlin traten daher am 28. April etwa 600 Gehilfen in ihren ersten Streik. Ihre Forderungen konnten sie nicht durchsetzen, doch die Prinzipale sagten zu, die "Angelegenheiten bis zum 1. Juni" regeln zu wollen. Zudem durfte niemand für die Teilnahme am Streik gemaßregelt werden. Das Streikergebnis - ein Patt, das dem politischen Zustand entsprach. Es war nicht entschieden, wer siegen würde: Fortschritt oder Reaktion.

Die Berliner Buchdrucker hatten im Streik erkannt, dass sie eine eigene Zeitung und Druckerei brauchten, um ihrer Sache mehr Einfluss zu verschaffen. Am 13. Mai 1848 erschien die Nummer 1 des Gutenberg, des Organs für die Interessen der Buchdrucker und Schriftgießer Deutschlands, als Wochenzeitung. Gründer und Redakteur war der Gehilfe Moritz Spiegel. Es war die erste Arbeiterzeitung in der Revolution. Ihr gelang es, sich neben Berlin und Leipzig auch in Südwestdeutschland, dem dritten Zentrum der aufständischen Buchdrucker, als von allen Gehilfen anerkanntes Blatt zu behaupten.

Nationale Versammlung der Buchdrucker

Es waren die Heidelberger Kollegen, die angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse der Auseinandersetzungen an den verschiedenen Orten die Initiative ergriffen und in Anlehnung an die in Frankfurt tagende Nationalversammlung zur National-Buchdrucker-Versammlung einluden. Auf dieser Versammlung, vom 11. bis 14. Juni 1848 in Mainz, der ersten nationalen Versammlung von Arbeitern eines Gewerbes überhaupt, verabschiedeten die "Jünger des großen Meisters Gutenberg" ein Grundstatut für eine Deutsche Nationale Buchdrucker-Vereinigung. Das beschrieb als Zweck der Vereinigung die "Hebung und Sicherstellung unseres materiellen und geistigen Wohls", legte den Organisationsaufbau fest, erläuterte die Rechte und Pflichten der Mitglieder und den Aufbau des "Kassenwesens". Die Versammlung wählte ein "Central-Comité". Die Zeitung Gutenberg wurde für ein Jahr zum gemeinsamen "Organ für die Gesamtinteressen der Buchdrucker und Schriftgießer Deutschlands" benannt, dem Redakteur Moritz Spiegel wurde ein dreiköpfiges Redaktionskomitee mit Gustav Jansen, Joseph Dittmann und Stefan Born zur Seite gestellt.

Auch den ersten Entwurf für einen Tarif auf nationaler Ebene erarbeitete die Buchdrucker-Versammlung im Juni 1848. Die Kernforderungen waren festgelegte Arbeitspreise, ein zehnstündiger Arbeitstag, ein wöchentlicher Mindestlohn, Überstundenzuschläge, die Abschaffung regelmäßiger Sonntagsarbeit und die Begrenzung der Lehrlingszahl. Bis zum 1. August 1848 sollte der Tarif eingeführt werden. Die Druckereien, die dem nicht folgten, hätten "Repressalien" zu befürchten. Das Central-Comité des National-Buchdrucker-Gehilfenverbands war zuständig für die Einhaltung der Mainzer Beschlüsse. Damit war die Grundlage für die erste gewerkschaftliche Organisation in Deutschland gelegt.

Doch um als Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließen zu können, brauchte man einen Tarifvertragspartner. Die Prinzipale, die Buchdruckereibesitzer, waren aber nicht organisiert, was die Buchdruckergehilfen dazu veranlasste, sich im Juni 1848 an die "Herren Buchdruckereibesitzer Deutschlands" zu wenden mit der Aufforderung: "Vereinigen auch Sie sich mit Ihren Collegen, wie unsere sämtlichen Collegen in Deutschland sich vereinigt haben; gründen auch sie einen Nationalverein." Die Buchdruckergehilfen wandten sich auch an die "Hohe deutsche National-Versammlung" in Frankfurt. Sie übersandten den Parlamentariern eine Petition, in der sie unter anderem ein deutsches Arbeiter-Ministerium forderten und das Recht des Arbeiters, seine Verhältnisse selbst zu regulieren, um dann auf den Punkt zu kommen: die Bitte um "die gesetzliche Genehmigung" der "speziellen Forderungen", also des Tarifvertragsentwurfs. Doch dazu kam es nicht.

Das Ende der Revolution

Im August legten die Buchdruckergehilfen deshalb die Arbeit nieder - vergeblich. Zudem herrschte in Frankfurt, dem Sitz des Central-Comités, der Belagerungszustand. Der erste Versuch einer gewerkschaftlichen Organisierung der Buchdrucker war gescheitert. Doch trotz Festnahmen, Verurteilungen und Haft der "Rädelsführer", trotz marschierender Reaktion, Arbeitslosigkeit und einer passiven Nationalversammlung gaben sie sich nicht geschlagen. Der Gutenberg kündigte im Oktober die Gründung einer neuen Organisation an, des Gutenbergbundes. Die Redaktion des Gutenberg, bestehend aus Moritz Spiegel, Karl Friedrich Kannegießer und Gustav Jansen, bildete den provisorischen Bundesvorstand und begann mit der Arbeit. Bald erweiterte sich der Vorstand auf sechs Kollegen, darunter Karl Fröhlich. Fröhlich gewann auf seinen Reisen durch die Druckorte immer mehr Kollegen für den Bund, Kannegießer baute die Unterstützungskassen auf, Spiegel machte den Gutenberg zum Organ der Gehilfenschaft. So gelang es ihnen trotz der Siege der Reaktion, den Gutenbergbund aufzubauen.

Im Herbst 1849 veranstalteten sie in Berlin den Gründungskongress - gegen die Blockademanöver der Prinzipale und trotz der offiziellen Auflösung durch die Polizei. Das Statut wurde verabschiedet, Fröhlich und Kannegießer wurden zum Zentralvorstand ernannt, der Gutenberg wurde zum Organ des Bundes.

Doch die Revolution ging blutig verloren. Die gewerkschaftlichen Kassen konnten in der Illegalität nicht weiterexistieren. Selbst die vorsichtigsten Neutralitätserklärungen und Bekenntnisse zu einer unpolitischen, sozial ausgerichteten "Bruderschaft" wurden von der preußischen Polizei gnadenlos bekämpft. Verfolgungen, Verhaftungen, Verbote und hohe Kautionszahlungen für Zeitungen, die dann doch beschlagnahmt wurden - all das beendete die fruchtbare und vielseitige Zeit einer ersten gewerkschaftlichen Organisierung bei den graphischen Arbeitern. Der Gutenberg stellte 1851 sein Erscheinen ein, als letzte der in der Revolution gegründeten Arbeiterzeitungen. Da die polizeiliche Verfolgung des Gutenbergbundes nicht aufhörte, legten die Vorsitzenden Karl Fröhlich und Karl Friedrich Kannegießer ihre Ämter nieder und schrieben keine Neuwahl mehr aus. Der Gutenbergbund löste sich selbst auf.

1854 schließlich verpflichtete ein Gesetz des Bundestages die Regierungen der deutschen Staaten, alle noch bestehenden Arbeitervereine und Verbrüderungen, die "politische, sozialistische und kommunistische Zwecke" verfolgten, innerhalb von zwei Monaten aufzulösen. Das erste Kapitel der Gewerkschaftsgeschichte war beendet. Erst in den 1860er Jahren ging es bei den Buchdruckern weiter. Die Wurzeln dafür liegen in den Kämpfen der 48er Revolution.


ver.di feiert ein doppeltes Jubiläum

2016 jährt sich die Gründung der ältesten Vorgängergewerkschaft, der Buchdruckergewerkschaft, zum 150. Mal, ver.di wird im Juni 15 Jahre alt.

Am 20. Mai 1866 wurde der Verband der Deutschen Buchdrucker in Leipzig gegründet. Doch schon vorher, im Revolutionsjahr 1848, waren die Buchdrucker auf die Barrikaden gegangen.

Zum Jubiläum am 20. Mai wird 2016 in der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin eine Ausstellung über den gewerkschaftlichen Kampf für Demokratie und Menschenrechte eröffnet. Mit einer Jubiläumsveranstaltung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt in Berlin feiert der ver.di-Gewerkschaftsrat dann am 28. Juni 2016 mit zahlreichen Gästen eine trotz vieler Hürden und Rückschläge erfolgreiche Geschichte.

Leserbrief Seite 14