Nach einer Regelung im Personenbeförderungsgesetz können Aufträge im Nahverkehr ohne Ausschreibung vergeben werden, wenn ein Anbieter sagt, er könne den Auftrag ohne Zuschüsse ausführen. Das gefährdet viele Stellen bei kommunalen Nahverkehrsunternehmen

Noch fahren in Pforzheim die blau-weißen Busse der SVP

Nach 105 Jahren droht der Stadtverkehr Pforzheim GmbH (SVP) Ende dieses Jahres das Aus. Am 15. März, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe der ver.di publik, wird der Gemeinderat der 120.000-Einwohner-Stadt im Nordschwarzwald darüber entscheiden, wie es mit dem Traditionsunternehmen weitergeht. Zur Abstimmung steht eine Vorlage, in der dazu fünf verschiedene Szenarien dargestellt werden. Die Beschlussempfehlung der Stadtverwaltung lautet: Auflösung der SVP zum 31. Dezember 2016. Betroffen wären knapp 250 Beschäftigte, Durchschnittsalter 53 Jahre, die meisten von ihnen arbeiten seit vielen Jahren bei der SVP.

Hintergrund für diese Empfehlung ist die Ausschreibung des Busverkehrs in Pforzheim. Damit wollte die Stadtverwaltung einem neuen Mehrheitseigentümer den Einstieg in das kommunale Unternehmen ermöglichen. Im Sommer 2014 war der französische Konzern Veolia vorzeitig ausgestiegen. Er hatte 2005 genau 51 Prozent der SVP übernommen. Allerdings erfüllten sich die Gewinnhoffnungen des Investors nicht, seine Versuche, zum Beispiel die Löhne zu drücken, scheiterten an der wehrhaften Belegschaft.

Betrieb ohne Zuschüsse der Stadt

Jetzt wollte die Stadt Pforzheim einen neuen Investor finden. Nach dem von der schwarz-gelben Bundesregierung ab 2013 geänderten Personenbeförderungsgesetz musste sie diesmal die geplante Ausschreibung drei Monate vorab europaweit ankündigen. In dieser Zeit können sich Unternehmen melden, die die ausgeschriebene Verkehrsleistung eigenwirtschaftlich übernehmen wollen. Das bedeutet, dass sie das ohne Partner tun und keine Zuschüsse von der Stadt beanspruchen, mit Ausnahme der Erstattungen für den Schüler/innen- und Schwerbehindertentransport.

Genau dies ist in Pforzheim geschehen. Gemeldet hat sich die Regionalbusverkehr Südwest GmbH (RVS). Das zuständige Regierungspräsidium in Karlsruhe hat das Angebot geprüft und die Genehmigung erteilt. Es geht davon aus, dass die Tochter der Deutschen Bahn AG, die in der Region seit über 25 Jahren Buslinien betreibt, die Zusagen des Angebots einhalten kann. Damit ist die Stadt verpflichtet, das Angebot anzunehmen, das Ausschreibungsverfahren ist hinfällig geworden.

Nicht mithalten

"Das kommunale Verkehrsunternehmen kann bei diesem Angebot nicht mithalten, weil es den Beschäftigten Tariflöhne zahlt", sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. Die RVS zahlt 400 Euro brutto weniger, außerdem hat sie bereits angekündigt, weite Teile des Verkehrs an Subunternehmen zu vergeben. Nach europäischem Recht kann eine Kommune den Nahverkehr entweder an ein eigenes Unternehmen geben oder europaweit ausschreiben. Entscheidet sie sich für die letztgenannten Weg, kann sie Vorgaben zur Qualität der Leistung und zu den sozialen Bedingungen für die Beschäftigten machen.

Das deutsche Recht räumt jedoch die Möglichkeit ein, eigenwirtschaftliche Anträge zu stellen, die dann Vorrang haben - so wie es in Pforzheim geschehen ist. Dann zählen weder geforderte soziale Standards noch die Anwendung von Tarifverträgen oder den Tariftreuegesetzen der Länder. Die Begründung: Da bei eigenwirtschaftlichen Anträgen keine öffentlichen Zuschüsse gezahlt werden müssen, gelten sie nicht als öffentlicher Auftrag.

Eine europaweit einmalige Regelung, sagt Mira Ball, die bei ver.di die Bundesfachgruppe Straßenpersonenverkehr und Schienenverkehr leitet. ver.di fordert die politisch Verantwortlichen auf, dass Gesetz dringend zu korrigieren, damit nicht noch mehr kommunalen Verkehrsbetrieben das Aus droht.

Ball erinnert daran, dass ver.di im Gesetzgebungsverfahren vor diesen möglichen Folgen gewarnt hat. Hören wollten die Politiker das damals nicht. Es galt als unwahrscheinlich, dass der Öffentliche Personennahverkehr einer Kommune eigenwirtschaftlich zu führen sei. Diese Aufgabe zählt zur Daseinsvorsorge, wird von den Kommunen bezuschusst, damit die Fahrpreise finanzierbar bleiben und nicht nur rentable Kernlinien betrieben werden.

Im Betrieb schwankt die Stimmung jetzt zwischen "Resignation, Wut und Hoffnung", sagt der Betriebsratsvorsitzende Guido Koch. Viele Beschäftigte arbeiten seit mehr als 25 Jahren für das städtische Unternehmen. "Das ist hier nicht nur ein Betrieb, in dem man arbeitet, das ist für viele ein Teil des Lebens", sagt der Gewerkschafter. Gerade für die älteren Kolleg/innen werde es schwer, außerhalb der SVP wieder im Berufsleben Fuß zu fassen.

Die Beschäftigten hoffen darauf, dass sie innerhalb der Stadtverwaltung andere Aufgaben finden. Immerhin haben sie vor zwei Jahren auf Gehalt verzichtet für eine Beschäftigungsgarantie bis 2026. Außerdem fällt das kommunale Unternehmen nach Meinung von ver.di unter den Schutz des Rationalisierungs-Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst.

Von der Stadt fühlen sich die Beschäftigten im Stich gelassen. Ihre Vertreter/innen sitzen zwar im Aufsichtsrat, lassen sich aber jetzt nicht mehr bei den Gesprächen mit Gewerkschaft und Betriebsrat blicken. Die Stadtverwaltung beruft sich darauf, dass das Gesetz ihr keine andere Wahl lasse. Sauer sind die Beschäftigten auch, weil die Stadt der RVS das komplette Liniennetz bereits zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2016 übergeben will. Für einige Linien läuft die Genehmigung erst im nächsten Jahr aus, weitere müssten erst 2023 ausgeschrieben werden. Aber die Fortführung eines Teilgeschäfts hält die Stadt für unrentabel. Als "nüchtern, kalt und herzlos" bezeichnet der im Bezirk zuständige ver.di-Sekretär Rüdiger Steinke das Vorgehen.

Sorgen um die Zukunft

Trotz der scheinbar aussichtslosen Situation wollen sich die Beschäftigten wehren. Für sie geht es um ihre Zukunft, auch wenn die wahrscheinlich nicht mehr bei der SVP stattfinden wird. Geplant sind verschiedene Aktionen in der Stadt. Die Bevölkerung soll mit 40.000 Postkarten informiert werden. Auch über Streiks wird diskutiert. Die Stadtverwaltung weist in diesem Zusammenhang nur darauf hin, dass die Kosten durch Streiktage nur das ohnehin schon knappe Budget für einen Sozialplan weiter schmälern werden.

Was passiert, wenn die RVS den Auftrag nicht erfüllen kann, ist unklar. Es besteht die Möglichkeit, dass die Bahn-Tochter Zwangsgelder zahlen muss. Einspringen wird die SVP dann wohl nicht mehr können. Übernimmt die RVS ihre Aufgaben, wird die Stadt Pforzheim die rund 80 Busse verkaufen, und die Belegschaft entlassen. Damit wäre die SVP nach 105 Jahren Geschichte.

Pforzheim - kein Einzelfall

Nach dem Personenbeförderungsgesetz müssen die Kommunen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Nahverkehr einem eigenwirtschaftlichen Antrag den Vorrang geben. Ähnlich wie in Pforzheim hat eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn angekündigt, für den Stadtverkehr in Hildesheim einen eigenwirtschaftlichen Antrag zu stellen. Be-troffen wären rund 120 Beschäftigte des Stadtverkehrs Hildesheim (SVHI) sowie 45 weitere des Regionalverkehrs Hildesheim, die derzeit im Stadtverkehr eingesetzt werden.

Auch sie könnten sich - wie in Pforzheim - bei dem neuen Auftragnehmer bewerben, müssten aber, falls sie überhaupt genommen werden, Lohneinbußen von bis zu 30 Prozent hinnehmen. "Eine Wahl zwischen Pest und Cholera", kommentiert der Leiter des zuständigen ver.di- Bezirks Hannover/Leine-Weser, Harald Memenga, die Entscheidungsmöglichkeit zwischen Arbeitsplatzverlust und Billiglohnjob.

Für Mira Ball, Leiterin der ver.di-Bundesfachgruppe Straßenpersonenverkehr und Schienenverkehr, steht dahinter eine Strategie der Deutschen Bahn. Sie verfüge bereits über Busse und betreibe auch schon städtische Buslinien, allerdings sei die Bussparte nicht ausgelastet. Daher gebe es die Angebote an die Kommunen. Die Wirtschaftswoche zitiert einen Sprecher der Bahn damit, dass das Beispiel Pforzheim wegweisend sei: "Überall dort, wo sich Chancen ergeben, werden wir eigenwirtschaftliche Angebote abgeben." ver.di verurteilt das Vorgehen der Bahn. "Dass sich nun auch noch ein Staatsunternehmen daran beteiligt, kommunale Verkehrsunternehmen zu vernichten, ist ein Skandal", sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. Im kommunalen Nahverkehr arbeiten derzeit über 130.000 Menschen.