Erich Grisar: Ruhrgebietsfotografien 1928-1933

"Langsam gehen die Wochen. Lange Tage bringen sie, viel Arbeit und einen kurzen Feierabend", schrieb Erich Grisar Anfang 1930 in seinem Roman Ruhrstadt über seine Heimatstadt Dortmund. Der Roman wurde zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht, genauso wenig wie die meisten seiner Fotografien aus den Jahren 1928 bis 1933. Insgesamt 200 dieser Bilder, die auch ein Porträt der Stadt im Revier zeichnen, zeigt jetzt erstmals das Ruhr Museum in Essen. Schwarzweiß-Fotografien, die vor allem das Leben der Menschen im Dortmunder Norden dokumentieren, die ihren oft armseligen Alltag rund um die Zechen der Stadt bestritten.

Je älter die Menschen auf diesen Fotos sind, desto mehr bedrücken die Bilder. Kinder hingegen, die vor seiner Kamera teils regelrecht posieren, gewinnen der Tristheit um sich herum immer wieder auch ein Stück Lebensfreude ab. Wenn sie nicht den Spielzeugkran eines Freundes bestaunen, führen sie in gepflegten Kleidern Gänse aus, basteln sich aus Schutt und Schrott einen Panzer oder strahlen einfach in die Linse. Doch auch ihr kleines Glück wird immer wieder gebrochen von Bildern täglicher Last. Wenn etwa ein Knirps einen Karren mit Pferdemist von der Straße füllen und ziehen muss, der fast genauso groß ist wie er selbst.

Erich Grisar kannte diese Lasten aus der eigenen Kindheit. Er stammte selbst aus einer armen Arbeiterfamilie. Er hatte das Glück, eine Lehre als Vorzeichner absolvieren und sich nach dem ersten Weltkrieg als Arbeiterschriftsteller und Journalist einen Namen machen zu können. Aber er hat nie vergessen, woher er kam. Mit Block, Stift und Kamera kehrte er immer wieder zurück, prangerte in Sozialreportagen die Lage der malochenden Arbeiter/innen an. Es dauerte nicht lange, bis der bekennende Sozialdemokrat auf dem Index der Nationalsozialisten stand.

Aufhalten und abhalten konnten sie den fotografierenden Schriftsteller nicht. Er hat stets ein Auge auf die Arbeitenden behalten. "Und einmal in der Woche ist Sonntag. Dann scheint die Sonne und die Arbeiter setzen sich, froh, einen Tag nicht im Lärm und Ruß der Fabriken sein zu müssen, an das offene Fenster, sehen den Kindern, die auf den Straßen spielen, zu und den Männern, die im besten Anzug und mit gebügelter Seele zur Kirche eilen. Andere gehen zur Versammlung ihres Verbandes. Oder zum Frühschoppen, aus dem nicht selten ein Dämmerschoppen wird. Manche sitzen auch den ganzen Tag zu Haus", schrieb er in seinem Dortmund-Roman. Und hielt das alles auch mit der Kamera fest. In Bildern, die entdeckt werden wollen.Petra Welzel

RUHR MUSEUM, GELSENKIRCHENER STR. 181, ESSEN, BIS 28. AUGUST, TGL. 10-18 UHR


RE:BELLION | RE:LIGION | RE:FORM

Umbrüche, Entwicklungen, Einbrüche, Kriege, Katastrophen, alles, was Gesellschaften verändert oder bedroht, erzeugt immer auch Abbilder in der Kunst. Manchmal nehmen Kunstwerke Entwicklungen voraus, meistens jedoch reagieren sie auf Situationen, spiegeln sie oder versuchen, Einfluss auf sie zu nehmen. Das Städtische Kunstmuseum Spendhaus in Reutlingen spannt in seiner Ausstellung einen Bogen über 500 Jahre, in der der Papstesel von Lucas Cranach in Gestalt eines weiblichen Akts mit Eselskopf und Hahnenkopfschwanz neben Lichtarbeiten von Daniel Rode über den sogenannten Arabischen Frühling in Ägypten für dasselbe Phänomen stehen: Nämlich, dass oft religiöse Auseinandersetzungen gesellschaftliche Konflikte begleiten oder gar auslösen. Künstler/innen stehen hier mit ihren Mitteln häufig auf der Schneide zwischen Parteinahme oder Rebellion. Die Ausstellung in Reutlingen macht gerade auch wegen der weltweit anhaltenden Auseinandersetzungen erfahrbar, welche Macht die Sprache der Bilder hat. Petra Welzel

STÄDTISCHES KUNSTMUSEUM SPENDHAUS, SPENDHAUSSTR. 4, REUTLINGEN, BIS 5. JUNI, DI-SA 11-17, DO 11-19, SO/FEIERTAGS 11-18 UHR


Father Figures are hard to find

Vaterfiguren sind nur schwer zu finden, das ist natürlich völlig untertrieben. Ein Blick in die Kunstgeschichte überhäuft einen geradezu mit männlichen Vorbildern. Aber den Künstler/innen in dieser Ausstellung der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst geht es tatsächlich darum, die richtigen Vaterfiguren zu finden. Ausgehend von der Annahme, dass sich kein Mensch ohne Vorbilder und Autoritäten entwickelt, haben die teilnehmenden internationalen Künstler/innen Vaterfiguren geschaffen, die nicht das schlichte Schema von Vater, Mutter, Kind bedienen. Dabei haben sie sich die Frage gestellt, was überhaupt eine Vaterfigur sein kann? Was passiert mit unseren eigenen Vätern? Oder auch: Was wird aus dem Vater Unser? Herausgekommen sind dabei Werke, die manchmal schmunzeln lassen, aber ganz oft tief berühren und weitere Fragen aufwerfen. Vor allem die nach dem eigenen Vaterbild. Petra Welzel

NEUE GESELLSCHAFT FÜR BILDENDE KUNST, NGBK, ORANIENSTR. 25, BERLIN, BIS 30. APRIL, TGL. 12-19, MI-FR 12-20 UHR