Der Dresdner Personalrat Hussein Jinah ist Inder, in Ostafrika aufgewachsen und in Sachsen zu Hause. 18 Jahre lang hat er als Sozialarbeiter und Streetworker gearbeitet. Sein Traum: "Ein friedlicher und respektvoller Umgang aller Menschen miteinander"

Ein Inder in Dresden, auf dem Theaterplatz zwischen Schloss und Semperoper, ist für manche immer noch ein Exot, aber Hussein lebt schon seit 1985 in der Stadt

"Ich bin dunkel", so beschreibt Hussein Jinah sich selbst am Telefon vor dem ersten Gespräch. Der 57-Jährige mit dem glänzend schwarzen Haar fällt trotz der vielen Touristen in Dresden auf. "Ein Exot" mögen manche Alteingesessene denken, dabei lebt er seit 1985 hier. Nach Indien zurückkehren wird er nicht mehr. Er hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft, er hat hier Freunde gefunden - und Aufgaben, eine Menge Aufgaben. Er spricht neben mehreren indischen und pakistanischen Sprachen, Swahili und Englisch, seit vielen Jahren hervorragend Deutsch. Das ist für ihn selbstverständlich. Dass man als Neuankömmling in einem fremden Land so schnell und gut wie möglich die Sprache lernt, dass man die Gesetze respektiert und einhält, darüber müsse man eigentlich kein Wort verlieren, meint Hussein Jinah. "Integration ist keine Einbahnstraße", sagt er. Das gelte für beide Seiten. Die Gesellschaft im Aufnahmeland müsse auch eine Aufnahmegesellschaft sein, müsse jetzt auch den aus Kriegsgebieten hierher Geflüchteten Arbeit, Bildung und Wohnen ermöglichen, damit alle von der Einwanderung profitieren. "Deutschland ist längst ein Einwanderungsland", sagt er. "Das ist die Realität."

Wo sind die Dresdner?

Wenn Hussein Jinah zu einem Spaziergang durch sein Dresden einlädt, beginnt er den Weg auf dem Theaterplatz, vor der Semperoper. Über dem Eingang in das berühmte Haus zeigen zurzeit große Fotos im Wechsel Tänzer, Musiker, Sänger und andere Beschäftigte des Theaters mit persönlichen Statements über Vielfalt und Toleranz. "Für ein weltoffenes Dresden" ist das Motto der weithin sichtbaren Bilder, das könnte auch Jinahs Motto sein. Für ihn ist dieser Platz nicht nur besonders schön - mit der kostbaren Architektur und der Kunst, zu der ihm seine schon 1999 verstorbene Frau den Weg gebahnt hat.

Der Theaterplatz ist ihm auch deshalb wichtig, weil hier in den letzten Monaten viele Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit begonnen haben, an denen er teilgenommen hat. Und er versäumt eigentlich keine. Hussein Jinah hat hier sogar selbst zu Demonstrierenden gesprochen, zum Beispiel in diesem Jahr am 13. Februar, dem Jahrestag der Zerstörung Dresdens am Ende des Zweiten Weltkriegs. In seiner Rede hat er die Frage gestellt: "Wo sind die Dresdner? Warum kommen nicht mehr von ihnen und zeigen, dass sie gegen den Rassismus von Pegida sind?"

Hussein Jinah weist auf dem Theaterplatz auch auf die Katholische Hofkirche hin und erzählt vom vorigen Weihnachtsfest.Er, der Moslem ist, hat gemeinsam mit einem Freund die christlichen Feiern in der Hofkirche, in der Frauenkirche und bei der Heilsarmee besucht. Es hat ihn interessiert, die verschiedenen Messen mitzuerleben. Er fühlte sich willkommen. "Ich behalte meine Wurzeln", sagt er, "auch wenn ich jetzt hier zu Hause bin. Aber ich würde doch nie sagen, meine Religion sei besser als eine andere." Das wäre respektlos, eine unerträgliche Abwertung, sagt er. Es gehe um Gleichberechtigung. Auch um die von Frau und Mann. Das habe er hier gelernt, in Dresden. Auch von seiner Frau, die Ingenieurökonomin war.

Ihretwegen, der Liebe wegen, ist er in Deutschland geblieben, auch nach 1990, als er arbeitslos war und zum ersten Mal hörte, wie Leute "Ausländer raus!" brüllten. Gekommen war er 1985, um die Chance auf das Studium der Elektrotechnik in Europa zu nutzen. "Inder sind bildungshungrig", sagt er. "Du kannst sie nicht stoppen." Er erzählt von seinen Vorfahren, die Hindus waren. Sie hätten unter ihren vielen Göttern auch einen Gott der Bildung. "Und gerade er wird sehr verehrt. Wenn du das nicht tust, lebst du in Finsternis, sagt man."

Nach seiner Promotion wäre Jinah am liebsten an der Uni geblieben, vielleicht irgendwann Professor geworden. Nicht nur das Lernen, auch das Lehren liegt ihm. Er spricht gern vor anderen, aber er hört auch gut zu. Doch 1990 veränderte sich mit dem Ende der DDR die Welt, auch die an der TU. Jinahs Uni-Karriere brach ab, er war erwerbslos. 100 Bewerbungen blieben ohne Erfolg. Er sei überqualifiziert, hörte er, oder: Umstrukturierungen... Vor allem: Er hatte noch keine deutsche Staatsbürgerschaft. "Als Ausländer stehst du als Letzter in der Hierarchie bei der Stellensuche", sagten ihm deutsche Bekannte, die auch ihre Arbeit verloren hatten. Seine früheren Kommilitonen aus verschiedenen Ländern nahmen jeden Job an, verkauften Obst und Gemüse. Es sei damals für viele Menschen schwer gewesen, sagt er, für Migranten aber noch mehr. Irgendjemand wies ihn schließlich auf das Jugendamt hin. Für ein Anti-Aggressionsprojekt wurde ein Sozialarbeiter gesucht, der gut Englisch sprach. Am 1. Mai 1991 konnte er die Stelle antreten. In diesem Jahr, vor ein paar Wochen erst, hatte er ein rundes Dienstjubiläum bei der Stadt. 25 Jahre, das bedeutet ihm viel.

Nach der Arbeit in einer Beratungsstelle für Jugendliche wurde Jinah Streetworker. Neben dem Alltag mit den jungen Leuten in Klubs und auf den Straßen studierte er auch wieder, diesmal Sozialpädagogik. Das Lernen ließ ihn nicht los.

Als Personalrat und ver.dianer konzentriert er sich auf den öffentlichen Dienst, seinen eigenen Arbeitsbereich, und stellt fest: "Der öffentliche Dienst ist immer noch zu verschlossen gegenüber Migranten, gerade bei uns in Sachsen." Bei der Polizei, der Feuerwehr, an der Verwaltungshochschule gebe es keine Einwanderer. "Wie lange werden wir noch brauchen, bis sich das ändert", fragt er.

Er will Debatten provozieren

Der Weg durch Jinahs Dresden verläuft auf der Carolabrücke über die Elbe in die Neustadt. Am Albertplatz geht er direkt zum Gedenkstein für Jorge Gomondai. Der 1962 geborene Mosambikaner starb am 6. April 1991 an den Folgen rassistischer Gewalt. Hier am Albertplatz stürzte er aus der Straßenbahn. Zum Todestag findet jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung an dem Stein statt. 100 bis 150 Leute kommen dann, sagt Jinah. Er wünscht sich, dass "die rassistische Gewalt aus meinem Dresden verschwindet".

Immer wieder trifft er auf dem Weg durch die Neustadt Bekannte. Leute von der Hans-Böckler-Stiftung, ein Afrikaner, der schon lange in Dresden lebt, ein Aktiver vom Verein AFROPA, zu dem auch Jinah gehört. Demnächst hält er dort einen Vortrag, der Titel soll Debatten provozieren, hofft er: "Ist der Islam integrationsfähig?" Er arbeitet auch in anderen Vereinen mit. Vorsitzender ist er beim Integrations- und Ausländerbeirat der Landeshauptstadt, den er vor vielen Jahren mitgegründet hat. Einen "großartigen Netzwerker" nennt ihn Romin Khan von ver.di, "den könnt ihr euch in Dresden einfach nicht entgehen lassen, schon wegen seiner indischen Weisheiten!" Zu denen gehört auch der Satz, den Hussein Jinah als sein momentanes Lebensmotto bezeichnet: "Wenn du im Fluss bist, vermeide Feindschaft mit den Krokodilen." Er fügt hinzu: "Oder halte doch Abstand. Ein weiser Satz."

Mehrmals ist er schon beschimpft und angegriffen worden, meist von jungen Männern, Hooligans, die ihn als Fremden vertreiben wollten. Er sei vorsichtig, sagt er, er habe auch Angst. Doch wenn man zuließe, dass die Angst überhandnimmt, ginge man eines Tages nicht mehr raus aus seinen vier Wänden. Was für Hussein Jinah nicht in Frage kommt. Er hat sich deshalb auch bei den Pegida-Kundgebungen angesehen, was da geschieht. Am Anfang, als nicht mal 350 Leute herumstanden, die frustriert waren, Existenzängste hatten. Als, so erinnert er sich, noch niemand von Ausländern sprach. Aber das änderte sich. An diesem Montag Ende Mai kommen auf dem Schlesischen Platz vor dem Bahnhof Neustadt mehr Leute zusammen, mit Fahnen, manche in T-Shirts, auf denen "Pegida" steht oder "Das Pack". Was viele von ihnen wollen, ist ein Land ohne Menschen wie Hussein Jinah. Er schaut sie sich ruhig an. "Nein, das ist nicht das ganze Dresden", sagt er. "Aber es wäre gut, wenn mehr Leute zeigen würden, dass sie Pegida ablehnen."

Hussein Jinah

  • Geboren 1958 in Britisch-Ostafrika, heute Tansania, wohin seine Eltern kurz vor seiner Geburt ausgewandert waren. Kindheit und Jugend in Tansania und Südafrika, mit 14 Jahren Rückkehr nach Indien.
  • 1985 im Rahmen eines Austauschprogramms zwischen Indien und der DDR Umzug nach Dresden, Deutschkurs, dann Studium der Elektrotechnik an der TU Dresden, Abschluss als Diplomingenieur, 1991 Promotion zum Dr.-Ing.
  • 1991 bis 2009 Sozialarbeiter und Streetworker bei der Stadt Dresden, berufsbegleitend Studium der Sozialpädagogik. Seit 2007 Personalrat im Rathaus des Landeshauptstadt, 2010 bis Juni 2016 freigestellt. Seit 2014 ver.di-Mitglied, Vorsitzender des ver.di-Landesmigrationsausschusses SAT und Mitglied des ver.di-Bundesmigrationsausschusses.

Hussein Jinah ist verwitwet und hat eine achtjährige Tochter.