Ausgabe 04/2016
Sibylle Lust geht nicht so ganz
Sibylle Lust
Sie wohnt im Frankfurter Nordend und fühlt sich dort wohl. Hier ist man nicht in der hektischen Bankenstadt, sondern findet ein fast beschauliches Milieu. Seit neun Jahren arbeitet sie im Gewerkschaftshaus als stellvertretende hessische Landesleiterin von ver.di und ist auch dort verankert: Sibylle Lust wird in den nächsten Wochen diese hauptamtliche Tätigkeit, aber beileibe nicht die Gewerkschaftsarbeit aufgeben.
Für ihre berufliche Tätigkeit hatte sie ursprünglich einen anderen Plan. Aufgewachsen im Odenwald in einer Angestelltenfamilie, strebte sie das Lehramt an - Französisch und Politik. Pädagogische Arbeit, Wissen an junge Menschen weiterzugeben, das schien ihr attraktiv. Der Schulalltag in der damaligen Zeit war für sie allerdings zu grau und zu eingeengt. Ihr Elan traf zur damaligen Zeit auf eine Staubschicht. Hier wollte sie nicht selbst ergrauen. Also machte sie sich für zwei Jahre auf zur Kinder- und Jugendarbeit nach Frankreich.
Eine ihrer nächsten Stationen war Marburg, Sibylle Lust arbeitete in der kommunalen Verwaltung. Und hier begann auch ihr gewerkschaftliches Engagement. Gewerkschaft und Angestellte - das war keine Selbstverständlichkeit in jenen Jahren. Aber Sibylle Lust hatte aus beruflichen Schwierigkeiten ihrer Eltern gelernt, dass es notwendig ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Also legte sie sich ins Zeug.
Ihre erste Rede hielt sie zum Frauentag
Gleichzeitig setzte sie sich für die Gleichstellung von Frauen ein. "Meine erste Rede zum 8. März bezog sich aber nicht auf Marburg. Es war ja der internationale Frauentag. Ich hatte erfahren von der Situation von Hausangestellten in Südafrika zu Zeiten der Apartheid. Die Würde von Frauen - das ist ein zentrales Thema damals gewesen und bleibt es bis heute. Please call me woman, hieß die Forderung dieser Frauen", erinnert sich die Gewerkschafterin.
Im Jahre 1991 hat sie das gewerkschaftliche Engagement dann zu ihrem Beruf gemacht. Und zwar in Bayern. Zunächst bei der damaligen Gewerkschaft ÖTV als Frauensekretärin. Mit Gründung von ver.di wurde der Fachbereich Gemeinden ihr Arbeitsschwerpunkt - wie konnte es auch anders sein, denn da kannte sie sich aus. "Ich hatte Verantwortung in ganz unterschiedlichen Bereichen, die sich zusammenfügen mussten", erinnert sie sich.
ver.di klingt schon ganz harmonisch
Der Vielstimmigkeit einen gemeinsamen Klang geben, das entspricht auch ihren privaten Neigungen. Sibylle Lust geht gerne in Konzerte. Das Zusammenspiel der Instrumente interessiert sie, wenn aus einzelnen Beiträgen ein harmonisches Ganzes entsteht. So wünscht sie sich auch ver.di. "Zuweilen holpert es noch. Aber es klingt schon ganz gut. Manchmal gibt es halt schräge Melodien. Aber das kann man auch als Zwölftonmusik verstehen - und die ist hohe Kunst."
Während ihrer neunjährigen Tätigkeit als stellvertretende Landesleiterin von ver.di in Hessen lag ein Schwerpunkt bei der Arbeit der Vertrauensleute in den Betrieben und Verwaltungen. Dabei interessiert sie, wie man über den Tellerrand des einzelnen Betriebs hinaus einen gemeinsamen gewerkschaftlichen Anstoß geben kann. In Hessen beurteilt sie die Situation als "ziemlich gut": Die Fachbereiche kommunizieren. Unterschiedliche Strukturen gilt es zu berücksichtigen. In manchen Fachbereichen schwimmen die Vertrauensleute wie Fische im Wasser. Anderen mit einer weniger ausgeprägten Vergangenheit eröffnen sich neue Wege. Sibylle Lust: "Vertrauensleute sind Motoren in den Betrieben und Verwaltungen. Wenn sie stottern, schwächelt die Gewerkschaft vor Ort."
Sibylle Lust wird sich in einen Stand begeben, den man offiziell mit Ruhe bezeichnet. Sie gibt den Staffelstab an ihre Nachfolgerin weiter und wird zurückkehren nach München, wo sie viele Bindungen hat. Ganz sicher spielt sie weiterhin mit bei der ver.di-Zwölftonmusik.