Die rot-rote Regierung in Brandenburg plant ein Gesetz, nach dem die Läden an weiteren Sonntagen öffnen dürfen. ver.di ist strikt dagegen, viele Beschäftigte auch

"Da zeigen wir klare Kante", sagt Erika Ritter, die Leiterin des Fachbereichs Handel bei ver.di Berlin-Brandenburg. "Wir sind grundsätzlich gegen jede Erweiterung des bisher gültigen Ladenöffnungsgesetzes. Der Sonntag ist uns heilig!" Was nichts mit einem möglichen Kirchgang zu tun haben muss. Der freie Sonntag, so Ritter, werde für alle Beschäftigten gebraucht, für Zeit mit Familien und Freunden, um gemeinsam mit ihnen etwas unternehmen zu können, zur Erholung, für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und ja, auch für Aktivitäten in der Gewerkschaft. Dass es Branchen gebe, in denen wie im Krankenhaus, im Nahverkehr oder in Hotels rund um die Uhr gearbeitet werden muss, bedeute ja nicht, dass immer mehr Bereiche nachziehen sollten.

Kniefall vor den Händlern

Die rot-rote Landesregierung in Potsdam bereitet zurzeit ein neues Gesetz vor, das die rechtlichen Möglichkeiten zur Sonntagsöffnung noch einmal erweitern soll. Waren es bisher sechs Sonntage im Jahr, an denen die Läden die Türen öffnen durften, sollen es künftig bis zu zehn sein. Neu an dem geplanten Gesetz ist, dass Sonntagsöffnungen dann auch in einzelnen Stadt- oder Ortsteilen genehmigt werden können. Auf diese Weise können es bis zu zehn Sonntage im Jahr werden, an denen ein Einkaufsbummel auf dem Programm steht, und der Dienstplan für die Beschäftigten weitere Schichten enthält. Eine "Sonntagskarawane" wäre dann möglich, sagt Markus Hoffmann-Achenbach vom ver.di-Bezirk Potsdam-Nordwestbrandenburg, zumal die Beschäftigten auf Weisung des jeweiligen Arbeitsgebers in verschiedenen Filialen eingesetzt werden können. Sie könnten also an dem einen Sonntag in dieser, am nächsten in jener Filiale Dienst tun. Als Kniefall vor den Händlern wertet Hoffmann-Achenbach den Gesetzentwurf der Regierung. "Um die Rechte der Beschäftigten geht es dabei nicht!"

ver.di wird das neue Gesetz, wenn die Landesregierung in Brandenburg es beschlossen hat, auf Verfassungsmäßigkeit juristisch prüfen lassen und jeden Anlass für eine weitere Ladenöffnung genau unter die Lupe nehmen. Und da gibt es Grund zur Zuversicht: In allen bisher in verschiedenen Bundesländern vor Gericht verhandelten Fällen konnten die Gewerkschaft und ihre Anwälte sich durchsetzen, zuletzt in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt, wo es um volle 20 Shopping-Sonntage pro Jahr ging. "Die sind nun vom Tisch", sagt Erika Ritter. Und das sei gut so.

Bernhard Küch aus der ver.di-Tarifkommission arbeitet bei H&M im Potsdamer Stern-Center. "Bei uns ist die Arbeit am Sonntag noch freiwillig", sagt er. "Aber ich bin grundsätzlich für den freien Sonntag! Die Kolleginnen und Kollegen brauchen ihr Wochenende." Schon aus Solidarität setzt er sich dafür ein. Er findet außerdem, man könne den Sonntag nicht ohne den Samstag betrachten. "Die meisten Arbeitgeber wollen uns auch nur noch einen freien Samstag im Monat gewähren." Aber er stellt fest, ein freier Tag in der Woche reicht ihm nicht mehr. Küch appelliert an seine Kolleg/innen, sich für zwei freie "lange Wochenenden" im Monat einzusetzen - und stutzt selbst über das, was er da gerade gesagt hat: "Für uns im Handel ist ein normales Wochenende schon ein ‚langes' Wochenende!"

Baumesse und Antikmeile

In vielen Bundesländern ist die "Allianz für den freien Sonntag" aktiv, ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen und Vereine, oft auch der Kirchen. Eine solche Allianz will ver.di auch in Berlin und Brandenburg gründen. Die Allianz fordert grundsätzlich einen Tag in der Woche, an dem die Räder stillstehen - und das gerade jetzt, wo immer mehr Beschäftigte im Einzelhandel über Arbeitsverdichtung und Stress klagen. "Das ist unser größtes Problem", sagt Susanne Feldkötter, Bezirksgeschäftsführerin von ver.di Potsdam-Nordwestbrandenburg. "Aber der Sonntag hat auch einen ökologischen Aspekt, wenn große Einkaufszentren ständig geöffnet, beheizt und beleuchtet sind." Viele Beschäftigte profitieren zudem nicht einmal finanziell von der Sonntagsarbeit, denn Zuschläge zahlen meist nur tarifgebundene Arbeitgeber. In Brandenburg sind das lediglich 20 Prozent der Unternehmen im Einzelhandel. Bei den anderen werden gerade sonntags oft prekär Beschäftigte eingesetzt.

Auch die Frage der Anlässe für die Sonntagsöffnung stellt sich in Brandenburg immer drastischer. "Bei uns wird an sechs Sonntagen im Jahr geöffnet", sagt die Betriebsratsvorsitzende bei Real, Andrea Ogiermann aus Wildau. "Ein Anlass ist immer der gleiche: eine Baumesse. Aber das ist einfach keiner!" Auch im Stern-Center seien die Anlässe für Sonntagsöffnungen nicht gesetzeskonform, stellt Bernhard Küch fest. "Wir sind im Gewerbegebiet, dahin kommt doch keiner zum Shoppen, weil in der Potsdamer Innenstadt die ‚Antikmeile' läuft." Die jetzige Regelung mit sechs Einkaufssonntagen im Jahr sei schon ein großes Entgegenkommen von ver.di. Noch mehr Öffnungsmöglichkeiten, wie im Gesetzentwurf geplant, das sei dann "nur noch Dreistigkeit".

Ladenöffnung - Zahlen und Gesetze

  • In Brandenburg arbeiten rund 74.500 Menschen im Einzelhandel, mehr als zwei Drittel davon sind Frauen. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten ist überdurchschnittlich hoch.
  • Laut Paragraph 5 (1) des Brandenburgischen Ladenöffnungsgesetzes dürfen "Verkaufsstellen aus Anlass von besonderen Ereignissen an jährlich höchstens sechs Sonn- oder Feiertagen in der Zeit von 13 bis 20 Uhr geöffnet sein".
  • Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung schützt die Sonntage und die staatlich anerkannten Feiertage als "Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung".
  • In seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 verwies das Bundesverfassungsgericht neben der religiösen Funktion auf die soziale Bedeutung des Sonntags und die damit verbundene Taktung des sozialen Lebens. Es betonte die grundlegende Bedeutung der ganztägigen kollektiven Arbeitsruhe.
  • Das Bundesverwaltungsgericht entschied im November 2015, dass Sonntagsöffnungen im Einzelhandel nur dann rechts- und verfassungskonform sind, wenn nicht die Öffnung der Läden und ein zugkräftiger Markt im Mittelpunkt stehen.