"Da fass ich mir doch an die Birne"

Brigitte (73), gelernte Fernmeldetechnikerin, Holger (72), gelernter Maschinenschlosser, Carina (26), Verwaltungsangestellte, und André (27), Angestellter der Agentur für Arbeit, lassen sich nicht gegeneinander ausspielen, wenn es ums Alter und die Rente geht

Links: Carina und Holger, Mitte: Brigitte und André, Rechts: Holger und André

ver.di publik - Brigitte, Holger, wie habt Ihr Euch das Altsein vorgestellt, als Ihr Mitte Zwanzig gewesen seid, so alt wie Carina und André jetzt?

Brigitte - Ich habe mir überhaupt nichts vorgestellt, weil ich so eingespannt war von meiner Familie, der Arbeit, von allem. Da war gar keine Zeit für Gedanken ans Alter. Ich hatte da schon vier Kinder.

Holger - Ich war auch schon mit 22 Jahren Vater, habe auf Deutschlands größter Werft in Hamburg gearbeitet und war da richtig am Arbeiten, Sonnabend, Sonntag, Überstunden. Altsein? Wenn wir Kollegen in die Rente verabschiedet haben, da habe ich immer geguckt, wie die aussahen. Es war immer etwas Bedrückendes dabei, damals wurden die Kollegen dann nicht mehr sehr alt. Die haben drei, vier Jahre etwas von ihrer Rente gehabt, dann sind sie verstorben.

ver.di publik - Ab wann ist man alt? Die Yogis in Indien sagen, alt ist ein Mensch, wenn er bei durchgedrückten Knien mit den Händen nicht mehr auf den Fußboden kommt.

Erstmal lachen alle.

André - Dann bin ich alt!

Brigitte - Ich noch lange nicht alt.

André - Ich fand schon immer, dass meine Eltern eine Orientierung für das Alter sind. Als ich 15 Jahre war, waren sie mit Mitte 40 schon alt für mich. Jetzt mit Mitte 20 denke ich: Was ist denn daran alt? Man ist so alt, wie man sich fühlt. Vielleicht stimmt der Spruch. Ich hatte unlängst einen Todesfall im Bekanntenkreis, der war 70 Jahre alt. Aber für mich war er nie alt. Es war, als wenn ein Freund gestorben wäre und nicht der Opa.

Carina - Ich fühle mich manchmal mit meinen 26 Jahren schon alt, das ist von der Tagesform abhängig. Und alte Menschen sind für mich ganz oft auch nicht alt. Man verändert sich äußerlich, wir werden älter, aber das Alter an sich ist für mich eher eine Gefühlslage.

Holger - Aus meiner Perspektive mit 15 Jahren waren damals Leute mit 50 teilweise schon richtig alt. Die waren ganz anders gekleidet, es war alles viel konservativer und die wirkten auch konservativ. Ich war das letzte von vier Kindern und hatte schon relativ alte Eltern. Ich habe immer die beneidet, die junge Eltern hatten.

Brigitte - Deshalb hast du dich dann auch so beeilt mit dem Kinderkriegen.

Holger - Nee, damals gab es die Pille noch nicht einfach so.

Brigitte - Also für mich ist jemand alt, der hilfsbedürftig wird und sich nicht mehr selbst versorgen kann. Das ist dann wirklich alt sein für mich.

ver.di publik - Spielt das Alter im Berufsleben eine Rolle?

Holger - Ja. Ich war damals im Maschinenbau auf der Werft und das war schwere körperliche Arbeit. Kollegen ab Mitte 50 merkte man dann an, dass die nicht mehr so konnten. Es gab vor allem auch diverse Umweltbelastungen. Ich habe, obwohl ich ja schon früh als Betriebsratsmitglied freigestellt war von der Arbeit und später eine ABM-Gesellschaft als Geschäftsführer geleitet habe, eine Asbestbelastung und werde jährlich untersucht.

Brigitte - Ich habe nach der Wende bis 1999, als ich aufgehört habe zu arbeiten, acht Mal umlernen müssen und etwas Neues anfangen müssen. Die Entwicklungen waren einfach so schnell, und ich hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken, ob das noch gut für mich ist.

Carina - Ich habe einen Bürojob und vieles hat die Digitalisierung da schon verändert. Ich merke schon, dass in der digitalen Welt die Dinge immer komplexer werden, ich mich immer wieder in neue Techniken eindenken muss. In einer Verwaltung hat man Menschen unterschiedlichsten Alters, die man alle mitnehmen muss. Insofern spielt das Alter schon eine Rolle.

André - Ich habe meine Ausbildung beim Arbeitsamt gemacht. Damals, vor elf Jahren, gab es noch Aktenhaltungen, Registraturen, Ordner. Mittlerweile sind wir auf die elektronische Akte umgestiegen und haben immer wieder Programmänderungen. Die lösen bei meinen älteren Kollegen automatisch Fragen aus: Du bist noch jung, Technik affiner, kannst du uns das noch mal erklären? Andererseits, wenn es um Aufstiegsmöglichkeiten im Amt geht, greift immer noch die alte Denke. Der ist doch noch so jung, der kann doch noch nicht in die Führungsebene aufsteigen, der bringt doch gar nicht die Erfahrung und das Alter mit für so eine Position.

Brigitte - Da kommt ja dann noch etwas ganz anderes hinzu: Wenn der die Stelle bekommt, kann ich sie ja nicht mehr bekommen. Jeder ist sich selbst dann der nächste, wenn es um den Aufstieg geht.

Carina - Ich glaube dennoch, dass sich Jung und Alt in der Arbeit sehr gut ergänzen. Beide können sich sehr viel geben. Die einen Erfahrungen aus 20, 30 Jahren Arbeitsleben, die anderen die Technikaffinität, weil sie in der digitalen Welt groß geworden sind.

Holger - Das sind wir natürlich nicht. Aber was mir zugute kam, war, dass ich schon mit 27 Jahren in den Ausschuss für Aus- und Fortbildung kam. Ich war Teamer für Jugendseminare, hatte immer Kontakt zu Jugendlichen. Das hat geprägt.

ver.di publik - Wie lange kann man Eurer Meinung nach arbeiten?

Brigitte - Das kommt wirklich auf die Arbeit an. Der Zwang, bis ins hohe Alter mit allem klarzukommen, egal was es ist, das ist dann nachher auch das, was im Kopf so belastet. In vielen Berufen ist ja nicht mehr das Körperliche entscheidend, sondern diese nervliche Belastung, die dahintersteht, wenn die Anforderungen immer höher steigen und nicht mehr dem entsprechen, was man möchte und kann.

Holger - Wenn ich mein Leben lang Maschinenschlosser geblieben wäre, dann wäre ich mit 65 nicht mehr auf der Werft gewesen. Bei Wind und Wetter, Hitze oder Kälte mussten wir arbeiten. Vorkehrungen wurden damals überhaupt nicht getroffen. Viele waren später zum Beispiel schwerhörig, weil es keinen Lärmschutz gab. Und dabei war das oft ein Radau im Schiffskörper, das kann man sich gar nicht vorstellen.

Brigitte - Das Körperliche ist das eine, da gibt es Grenzen, weil irgendwann die Gelenke, die Muskeln hinüber sind. Aber die geistige Anstrengung, der Stress, auch Mobbing, Missgunst unter den Beschäftigten, auch das gibt es ja leider, das ist das, was die Menschen kaputt macht.

ver.di publik - Carina, André, Ihr habt fast noch ein ganzes Arbeitsleben vor Euch. Wie lange kann man arbeiten?

André - Ich mache neben meinem Vollzeitjob noch mein Ehrenamt als Spitzenfunktionär hier bei ver.di und der ver.di-Jugend. Und das macht mir auch viel Spaß. Aber ich bemerke auch Belastungsspitzen, wo ich mich frage: Kannst du das noch auf Dauer so weiterführen? Auch in meinem Alter erreiche ich Punkte, an denen ich umsteuern muss, weil ich sonst auf ein Stoppschild zusteuere. Dann sehe ich bei meinem Vater, der einen Handwerksbetrieb für Gas-Wasser-Installationen hat, dass die Leute mit 60 Jahren aufhören müssen, weil sie nach 60 enorm abbauen. Er würde sie vielleicht sogar noch weiter beschäftigen, aber die wollen selbst raus, nicht mehr ständig auf die Knie oder das Dach. Aber ich würde Dir, Brigitte, auch Recht geben. Ich möchte die geistigen gar nicht gegen die körperlichen Belastungen aufwiegen.

Brigitte - Die Gefahren lauern überall.

ver.di publik - Bis 67 Jahre sollen wir ja inzwischen ohnehin schon arbeiten. Derzeit bringen Arbeitgeber, aber auch Politiker ein noch höheres Renteneinstiegsalter ins Gespräch.

Holger - Ich halte das für verheerend. Für die Handwerksberufe, die Bauberufe ist das undenkbar, das geht nicht. Es mag Berufe geben, in denen man fit genug ist, sie auch im hohen Alter noch auszuüben. Vielleicht sollte man denen eine Chance geben, weiter zu arbeiten, aber nur auf freiwilliger Basis. Ansonsten muss man eine Grenze ziehen. Für einige Berufsgruppen sind 67 Jahre schon viel zu alt.

Carina - Man sollte den Fokus lieber darauf legen, wie man Leute davon überzeugt, dass eine Ausbildung auch wieder ein attraktiver Faktor ist. Dieses Jahr ist das Jahr mit dem Höchststand an Studierenden. Wie bekomme ich es da hin, dass Ausbildungen für junge Leute eine attraktive Option sind? Und wie bekomme ich es hin, dass in allen Branchen gute Übernahmechancen die Regel sind? Das ist der Schlüssel und nicht Menschen noch mit 70 Jahren im Rollstuhl oder am Rollator an einen Schreibtisch schieben.

Brigitte - Das Tragische ist ja auch, dass viele, die studieren, im Anschluss keinen Arbeitsplatz finden, mit ihrem Studium gar nichts anfangen können.

Carina - Weil es immer haarsträubendere Studiengänge gibt. Ich habe neulich gehört, dass man den Aufbau von Metropolen studieren kann. Sicherlich superspannend, aber was macht man mit so einem Studium?

Holger - Früher hatten wir 70 bis 80 Prozent Hauptschüler, 15 bis 18 Prozent Realschüler und maximal 8 bis 10 Prozent Gymnasiasten. Wenn heute einer das Abitur nicht macht, dann ist er schon ein Loser. Maschinenschlosser war zu meiner Zeit der Modeberuf. Und zum Bau gingen viele. Und alle haben gut verdient. Wenn ich mir heute den Bau angucke, sehe ich, sie malochen dort und verdienen ganz, ganz schlecht. Früher waren Bauarbeiter Spitzenverdiener. Heute verdienen 50 Prozent aller Beschäftigten nicht mehr als 2.500 Euro brutto, da bleiben unterm Strich 1.800, 1.700 Euro. Wenn ich davon eine Wohnung bezahlen und eine Familie ernähren soll, ist das gar nicht machbar. Wir brauchen wieder vernünftige Löhne.

André - Ich möchte in dem Zusammenhang noch mal auf die Altersfrage zurückkommen. Wir haben ungefähr 40 Millionen Beschäftigte derzeit, also ungefähr die Hälfte der Bevölkerung. Dann verdonnere ich zwei bis drei Millionen davon, bis 69 zu arbeiten, von denen ich dann zwei bis drei Jahre länger kassiere. So ist ja die Denke bei der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Ich finde, man muss eher fragen, ab wann hat jemand genug gearbeitet, sind das 40 Jahre, sind das 45 Jahre? Ich denke, man sollte über 35 Jahre nachdenken. Aber die meisten machen sich dennoch 30 oder 40 Jahre lang keine Gedanken über ihre Rente, sondern fangen erst fünf Jahre vorher damit an. Dann sehen sie ihren Rentenbescheid und denken, da muss ich jetzt aber mal schnell aufbessern. Dafür reichen aber fünf Jahre nicht. In der ver.di-Jugend gehen wir mit der Rente offensiv um und sagen den Jugendlichen, ihr müsst euch von Anfang an drum kümmern.

ver.di publik - Kümmerst Du Dich denn um Deine zukünftige Rente?

André - Ich bin jetzt 27 Jahre alt und habe zum ersten Mal einen Rentenbescheid bekommen. Mit dem war ich nicht zufrieden, weil das ja alles hochgerechnet wird, ausgehend von meiner jetzigen Vollzeitstelle. Das heißt, ich muss meinen Verdienst halten und immer so weiter arbeiten. Dann habe ich ihn meiner Mutter gezeigt, und die hat gesagt, damit wäre sie zufrieden. Meine Mutter hat mich großgezogen und dann lange Teilzeit gearbeitet. Ich finde aber, jemand, der einen braven Beitragszahler erzogen hat, darf doch dafür nicht bestraft werden bei der Rente. Ich fände es erziehenden Müttern gegenüber seitens des Staates viel fairer, wenn sie für diese Zeit Rentenpunkte angerechnet bekämen.

Carina - Völlig richtig. Ich finde der Gesetzgeber macht sich das an vielen Stellen sehr einfach. Mütter etwa werden einfach auf der Strecke gelassen. Jetzt redet man eben darüber, das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen, damit mehr Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt werden und damit wäre dann alles geheilt. Um die richtig wichtigen Baustellen wird sich nicht gekümmert, zum Beispiel - ich habe das ja schon angesprochen - die Einstellung, ich brauche ein Studium, damit ich hinterher gut verdiene. Viele kennen gar nicht die Möglichkeiten, die einem eine Ausbildung und das Arbeitsleben bietet. Man kann sich berufsbegleitend weiter qualifizieren, man kann sich hocharbeiten.

André - Und man verdient in der Zeit auch schon.

Carina - Genau. Und zahlt dann auch schon in die Rentenkasse und die eigene Rente ein. Die Politiker sollten öfter mal auf die Gewerkschaften und ihre Forderungen hören.

André - Wir fordern zum Beispiel die Einführung einer Erwerbstätigenversicherung. Das heißt, dass alle in die Rentenkasse einzahlen, unabhängig von ihrem Beschäftigtenstatus, auch die Beamten. Und die Obergrenze bei den Verdiensten abschaffen. Warum soll man jemanden, der 500.000 Euro im Monat oder im Jahr verdient, mehr schützen als jemanden mit 50.000 Euro. Die Gutverdienenden versichern sich alle privat und haben im Alter überhaupt keine Probleme. Wenn ich diese Gutverdienenden mit aufnehmen würde als Beitragszahler, hätten wir schon einen sehr großen Schritt gemacht.

Holger - Ein großes Problem ist auch, dass die Jungen und die Alten jetzt aufeinander gehetzt werden. Nach dem Motto: Drei Arbeitnehmer bezahlen einen Rentner. Wollt ihr nicht endlich mal sterben, damit wir nicht so viel bezahlen müssen, so ist das sinngemäß gemeint. Das ist das Perverse. Früher sind etwa elf Arbeitnehmer auf einen Rentner gekommen. Wir müssen aber auch betrachten, wie seither die Produktivität gesteigert wurde, und das als Maßstab nehmen. Hier werden Riesengewinne erwirtschaftet. 62 Familien weltweit besitzen mehr als 50 Prozent des Kapitals! Da fass ich mir doch an die Birne! Und dann wird gejammert, wir könnten die Rente nicht mehr finanzieren.

ver.di publik - Was ist mit privater Vorsorge?

Holger - Auf keinen Fall. Die Riester-Rente muss sofort rückabgewickelt werden. Das ist eine Riesenschweinerei. Damit haben wir vier Rentenpunkte verloren. Wer kann sich Riestern denn erlauben? Das sind die, die sehr gut verdienen. Aber der kleine Angestellte oder die kleine Verkäuferin, die können doch nicht riestern. Und wenn sie es tun, wird es am Ende gegen die Grundrente gegengerechnet. Die werden doppelt betrogen.

ver.di publik - Alles klar, Ihr favorisiert die gesetzliche Rente. Aber was tut Ihr, damit Ihr in der Diskussion um die Finanzierung der Rente nicht gegeneinander ausgespielt werdet?

Carina - Schulter an Schulter stehen und aufklären.

Brigitte - Wir halten zusammen.

André - Was wir hier innerhalb von ver.di schon sehr gut machen, ist zusammenarbeiten. Wir stimmen uns bei den wichtigen Themen wie der Rente ab. Wir sitzen übrigens auch bei jeder Abendveranstaltung zusammen, das ist jetzt nicht nur fürs Mikrofon gesagt. Aber nach außen müssen wir unsere jeweiligen Bezugsgruppen für unsere Anliegen sensibilisieren. Wir Jungen müssen sehr viel mehr junge Leute zum Nachdenken anregen. Die unter 27-Jährigen bekommen von dem Thema Rente vielleicht mal etwas im Fernsehen mit, wenn überhaupt. Und dann mit 27 Jahren schneit der erste Rentenbescheid herein.

Brigitte - Das ist dann ein Aha-Erlebnis.

André - Vielleicht. Mit 27 Jahren muss ich ja momentan immer noch 40 Jahre arbeiten. Aber mit 27 habe ich auch noch ganz viele andere Dinge im Kopf. Familiengründung, Eigentum anschaffen, richtig auf die eigenen Füße kommen. Aber gerade die Jugend von heute ist besonders von prekärer Beschäftigung betroffen, unsicheren Arbeitsverhältnissen, Befristungen, Teilzeit. Die können gar nicht planen. Und schon gar nicht an die Rente denken.

Carina - Die Rente ist ein Lebensthema, das begleitet mich ein Leben lang. Mir reicht es nicht, wenn die Politiker heute eine vernünftige Lösung wieder für 10, 15 Jahre aufschieben. Ich denke, die Politik muss jetzt ein Zeichen setzen. Ich erwarte keine von Heute-auf-morgen-Lösung, das wäre auch unglaubwürdig. Aber ich erwarte, dass sich des Themas angenommen wird, denn es geht um meine Rente, um Andrés Rente, es geht um die Rente von allen Menschen.

Die fragen stellte: Petra Welzel

Wir Jungen müssen sehr viel mehr junge Leute zum Nachdenken anregen. Die unter 27-Jährigen bekommen von dem Thema Rente vielleicht mal etwas im Fernsehen mit, wenn überhaupt. Und dann mit 27 Jahren schneit der erste Rentenbescheid herein. André